#protectyourprotest – Versammlungsfreiheit verteidigen! Podiumsveranstaltung zum G20-Rondenbarg-Prozess in Berlin

Dienstag * 09.07.2024 * 19 Uhr * Emmaus-Kirche * Lausitzer Platz in Kreuzberg

Das Recht auf Versammlungsfreiheit wird in Deutschland zunehmend eingeschränkt durch Versammlungsverbote, repressive Gesetzgebung und Polizeigewalt. Klima-Aktivist*innen werden in Präventivhaft genommen, Antifaschist*innen in Leipzig über Stunden eingekesselt und pro-palästinensische Veranstaltungen und Demonstrationen verboten. 

Mit dem seit Januar 2024 in Hamburg laufenden Rondenbarg-Prozess droht ein weiterer Angriff auf die Versammlungsfreiheit. Ein Demonstrationszug mit etwa 200 Teilnehmer*innen war während des G20-Gipfels 2017 auf dem Weg zu den Blockadeaktionen in der Straße „Rondenbarg“ von der Polizei ohne Vorwarnung gewaltsam aufgelöst worden. 14 Personen mussten ins Krankenhaus. Insgesamt 86 Personen wurden angeklagt. Zwei der damals Festgenommenen stehen wegen dieser Demonstration derzeit vor Gericht, der Vorwurf lautet schwerer Landfriedensbruch. Das Besondere an dem Fall ist, dass den Angeklagten keine eigenhändigen Taten vorgeworfen werden, allein ihre Anwesenheit sei strafbar. Durch das Tragen ähnlicher Kleidung soll einem vermeintlichen gemeinsamen Tatplan zugestimmt worden sein bzw. „Straftäter“ gedeckt worden seien. 

Eine Verurteilung wäre eine weitere praktische Verschärfung des Paragrafen 125 Landfriedensbruch. In Zukunft müssten dann Demonstrationsteilnehmende damit rechnen, verurteilt zu werden, wenn es zu strafbaren Handlungen auf einer Demonstration kommt. Die bloße Anwesenheit wäre dann strafbar.

Wir wollen über den aktuellen Stand im Rondenbarg-Verfahren sprechen, über die Angriffe auf die Versammlungsfreiheit und die Rolle des Paragrafen 125.

  • Rechtsanwalt Adrian Wedel
    Verteidiger im Prozess und Mitglied im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), wird die Konsequenzen des Urteils aus einer juristischen Perspektive erörtern 
  • Angeklagte*r im Rondenbarg-Prozess 
    wird auf die Rolle des Paragrafen 125 und der staatlichen Repression eingehen
  • Vertreter*in von Amnesty International Deutschland 
    wird zur Lage der Versammlungsfreiheit in Deutschland sprechen

Kollektivstrafen für Demonstrierende verhindern: Rondenbarg-Prozess bedroht auch eure Versammlungsfreiheit.

Seit Januar läuft vor dem Hamburger Landgericht ein Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit den G20-Protesten in Hamburg. 2017 wurde dort in der Straße „Rondenbarg“ eine G20-kritische Demonstration von einer Sondereinheit der Polizei eingekesselt und aufgelöst. Dabei wurden elf Demonstrierende schwer verletzt, kein Beamter kam zu Schaden. Trotzdem stehen jetzt nicht die verantwortlichen Polizeibeamten, sondern die Demonstrierenden vor Gericht: Angesetzt sind 25 Prozesstage gegen Aktivist*innen, die aus ihrem Arbeitsalltag und Privatleben gerissen werden.

Das Verfahren bedroht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit: Keinem der Angeklagten wird eine individuelle Tat vorgeworfen, die bloße Anwesenheit auf der Demonstration soll für eine Verurteilung reichen. Das würde Kollektivstrafen gegen Demonstrierende zunehmend als Standard etablieren. Allein die Möglichkeit für die bloße Teilnahme an einer Demonstration vor Gericht zu landen, kann schon heute abschrecken, überhaupt an Versammlungen teilzunehmen. 

Schützen wir die Versammlungsfreiheit! Ziviler Ungehorsam ist kein Verbrechen!

Nach über drei Monaten und 13 Verhandlungstagen ist von der ursprünglichen Anklage der Staatsanwaltschaft nicht mehr viel übrig. Das Gericht erkannte an, dass es sich bei der Demonstration am Rondenbarg grundsätzlich um eine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes handelte. Doch das ist kein Grund zum Aufatmen, die Gefahr einer Einschränkung des Demonstrationsrechts durch Kollektivstrafen ist sogar noch gewachsen. In Zukunft könnte schon die falsche Jacke auf einer Demo zum Problem werden.

Der Demozug am Rondenbarg war als Teil des Farbkonzepts von Block G20 (roter, blauer, grüner, pinker und schwarzer „Finger“) größtenteils dunkel gekleidet. Daraus konstruiert das Gericht jetzt eine „psychische Beihilfe“ und zieht eine kollektive Veruerteilung wegen Landfriedensbruch in Betracht. Wenn schon ähnliche Kleidung für eine kollektive Strafbarkeit ausreicht, was bleibt dann übrig von selbstbestimmmter Gestaltung politischer Versammlungen? Insgesondere Aktionen des zivilen Ungehorsams mit einheitlichen Outfits geraten so ins Visier der Justiz. Dabei braucht diese Gesellschaft angesichts von Kriegen, Klimakrise und rechter Hetze gerade jetzt mehr mutige Menschen die ihr demokratisches Recht auf Versammlungsfreiheit kreativ und vielfältig nutzen.

WAS TUN?

Schafft Öffentlichkeit! Leitet diesen Text an eure Verteiler, Kolleg*innen und Freund’*innen weiter. Teilt das Sharepic und weiteres Material auf Social Media und macht den Prozess bekannt.  

Hingucken! Zuhören! Dokumentieren! Wir rufen dazu auf, den Prozess auch im Gerichtssaal aktiv zu begleiten. An allen Prozesstagen gibt es außerdem Kundgebungen vor dem Hamburger Landgericht – beginnend jeweils eine Stunde vor Prozessbeginn.

Demonstrieren! Am Samstag vor dem „Tag X“ der Urteilsverkündung werden in verschiedenen Städten Deutschlands Demonstrationen stattfinden. Ein Urteil ist im Juli zu erwarten, Infos bald unter: https://gemeinschaftlich.noblogs.org/

Prozesse kosten Geld! Spendet für die Betroffenen auf das Konto von Rote Hilfe e.V., IBAN: DE25 2605 0001 0056 0362 39, Sparkasse Göttingen, Stichwort „G20“

Hintergründe und Material unter www.grundrechteverteidigen.de

Neuer G20-Prozess in Hamburg: Demokratische Grundrechte und Versammlungsfreiheit verteidigen!

Liebe Kolleg*innen,
Liebe Mitstreiter*innen,

am 18. Januar beginnt vor dem Hamburger Landgericht erneut ein Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit den G20-Protesten 2017. Mehr als sechs Jahre danach wird der Prozess gegen Teilnehmende einer G20-kritischen Demonstration eröffnet, die in der Straße „Rondenbarg“ in Hamburg von einer Sondereinheit der Polizei eingekesselt und aufgelöst wurde. Dabei wurden elf Demonstrierende schwer verletzt, kein Beamter kam zu Schaden. Angesetzt sind 25 Prozesstage gegen junge Kolleg:innen aus dem ganzen Bundesgebiet, die aus ihrem Arbeitsalltag und Privatleben gerissen werden.

Keinem der sechs Angeklagten wird eine individuelle Tat vorgeworfen: Wegen bloßer Anwesenheit sollen Demonstrierende, darunter Mitglieder des damaligen Bonner Jugendvorstands der ver.di und eine IGM-Vertrauensfrau, zu Haftstrafen verurteilt werden. Dieses Vorgehen der Staatsanswaltschaft würde dazu führen, Kollektivstrafen gegen Demonstrierende zunehmend als Standard zu etablieren. Das ist ein massiver Angriff gegen die Demonstrationsfreiheit und unsere Grundrechte!

Wir rufen daher dazu auf „Demokratische Grundrechte und Versammlungsfreiheit verteidigen! G20-Prozesse einstellen!“

Solidarische Grüße!

Ulla Jelpke, ehemalige innenpolitische Sprecherin DIE LINKE im Bundestag
Olaf Harms, Vorsitzender Landesbezirksvorstand ver.di-Hamburg
Rolf Becker, Schauspieler, ver.di-Mitglied
Katharina Schwabedissen, Gewerkschaftssekretärin
Dr. Rolf Gössner, Jurist/Publizist, Internationale Liga für Menschenrechte, ver.di-Mitglied
Gabriele Heinecke, Rechtsanwältin (RAV)

Initiative „Grundrechte Verteidigen!“ 
https://grundrechteverteidigen.de
Twitter: @demorecht

Was tun?

Prozessbegleitung in Hamburg!

Kommt am Donnerstag 18.01. um 8 Uhr mit den Fahnen und Transparenten eurer Gewerkschaften und Organisationen zur Kundgebung und Pressekonferenz vor dem Hamburger Landgericht (Sievekingplatz 3)! Lasst uns mit einer bunten, lauten und kreativen Kundgebung deutlich machen, dass wir solidarisch und mit Vielen unsere Grundrechte verteidigen. Auch am 19.01. und den folgenden Prozesstagen (Liste siehe Link) wird es Kundgebungen vor Ort geben – beginnend jeweils eine Stunde vor Prozessbeginn. Bringt Schilder, Musikinstrumente, Heizstrahler, Heißgetränkespender, bunten Protest und kreative Ideen mit! 

Hingucken! Zuhören! Dokumentieren!

Wir rufen dazu auf, den Prozess auch im Gerichtssaal aktiv zu begleiten, zu beobachten und Berichte zu schreiben (Sitzungssaal 237, Sievekingplatz 3). Wenn ihr hier bestimmte Termine übernehmen oder regelmäßig beobachten könnt, meldet Euch bitte unter info@grundrechteverteidigen.de

Orte schaffen!

Vor, nach und während der Prozesstage (Liste siehe Link) werden auch z.B. Schlafplätze und andere praktische Dinge für Angeklagte und ihre mitreisenden Partner:innen und Familienangehörigen gebraucht. Meldet Euch dafür bitte unter info@grundrechteverteidigen.de

Demonstrieren!

Kommt am Samstag 20. Januar um 16 Uhr zur Demonstration nach Hamburg am Jungfernstieg! Infos und Busanreise z.B. aus Berlin findet ihr unter https://gemeinschaftlich.noblogs.org/

Meldet Euch zu Wort!

Schickt uns Eure O-Töne! Teilt die Beiträge von Grundrechte verteidigen (Twitter: @demorecht). Organisiert Solidaritätskundgebungen für die Verteidigung unserer Grundrechte vor Ort. Schafft Öffentlichkeit, diskutiert in Euren Organisationen, berichtet über das, was vor Gericht passiert.

Prozesse kosten Geld!

Spendet für die Betroffenen auf das Konto von Rote Hilfe e.V., 
IBAN: DE25 2605 0001 0056 0362 39, Sparkasse Göttingen, Stichwort „G20“

Pressefreiheit sicher stellen!

Das OLG Hamburg hat die Anzahl der Journalist*innen limitiert, die am Prozess teilnehmen können. Seit dem 13. Januar müssen sich Berichterstatter*innen namentlich unter pressestelle@olg.justiz.hamburg.de für die Prozessberichterstattung anmelden. Informiert demokratische und gewerkschaftliche Journalist*innen über den Prozess. 

Aktuelle Infos:
https://rondenbarg-prozess.rote-hilfe.de/

Prozesstage:
https://grundrechteverteidigen.de/rondenbarg

Weitere Infos:
https://grundrechteverteidigen.de/dokumente/
https://wirmuessenreden.wordpress.com/
https://rondenbarg-prozess.rote-hilfe.de/category/termine-aufrufe/

Erklärung online unterzeichnen

Versammlungsfreiheit in Gefahr! Aktionstag und Pressemitteilung zum Rondenbarg-Prozess in Hamburg

Erster Aktionstag “Gemeinschaftlicher Widerstand!” am 28.11. 

Gegen Polizeigewalt und die Einschränkung demokratischer Grundrechte.  
Solidarität mit den angeklagten G20-Demonstrant*innen!  

Online via Hashtags #Rondenbarg #noG20 #Polizeigewalt #Polizeiproblem 
und in mehr als 10 Städten auf der Straße: https://gemeinschaftlich.noblogs.org/aktionen/ 
 

PRESSEERKLÄRUNG 

Von Mitgliedern des ver.di-Bezirksjugendvorstands NRW-Süd von 2017 
26.11.2020 

  • Größter G20-Prozess bisher beginnt am 3.12. in Hamburg 
  • Bonner Gewerkschafterinnen gehören zu den ersten Angeklagten 
  • Bundesweiter Protest gegen Polizeiübergriff 2017 und folgende Strafverfolgung 
     

Mammutprozesse gegen links, Polizisten vor Ermittlungen beschützt 

Mehr als drei Jahre sind vergangen seit dem G20-Gipfel in Hamburg, bei dem Mitte 2017 die Bundesregierung mit Trump, Erdogan, Bolsonaro und anderen globalen Machthabern tagte. Am 3. Dezember 2020 beginnen nun von der Hamburger Staatsanwaltschaft betriebene „Mammutprozesse“ gegen vom Polizeiübergriff in der Hamburger Straße „Rondenbarg“ betroffene Demonstrant*innen. Obwohl aufgrund des vorliegenden Videomaterials der dringende Verdacht besteht, dass die angeklagten G20-Gegner*innen zum Opfer von z.T. schwerer Polizeigewalt und Freiheitsberaubung im Amt wurden, steht bis zum heutigen Tag keiner der Polizeibeamten vor Gericht. Soweit Ermittlungen eingeleitet wurden, modern diese im „Dezernat für Interne Ermittlungen“ der Hamburger Polizei vor sich hin.  

Gewerkschafterinnen angeklagt, Öffentlichkeit ausgeschlossen 

In den bisher größten G20-Prozessen bisher sind insgesamt mehr als 50 Demonstrant*innen angeklagt, darunter fast alle Mitglieder des damaligen ver.di-Bezirksjugendvorstands NRW-Süd (heute: Bezirk Köln-Bonn-Leverkusen) und Aktive der „Bonner Jugendbewegung“, die seit 2007 für Bildungsstreiks, Klimaproteste, Demos gegen Neonazis und für Flüchtlingssolidarität in Bonn und Umgebung bekannt ist.  

Durch einen Trick hat das Hamburger Gericht die Öffentlichkeit ausgerechnet bei diesem Skandalverfahren ausgeschlossen: Es wird zunächst nur gegen fünf damals Jugendliche verhandelt, und Verfahren gegen Jugendliche sind nichtöffentlich. Der Ausschluss der Öffentlichkeit geschieht offiziell “zum Schutz der Angeklagten” – genau diese wünschen sich aber explizit einen öffentlichen Prozess mit politischer Beobachtung.  

Demonstranten verletzt und inhaftiert, Polizei-Darstellung widerlegt 

Mindestens 14 Demonstrant*innen wurden am 7.7.2017 schwer verletzt, als Polizeibeamte eine Demonstration gegen globale Klimazerstörung und Ausbeutung durch die G20-Staaten in der Hamburger Straße „Rondenbarg“ binnen Sekunden brutal zerschlugen. Die ursprüngliche Darstellung der Ereignisse durch die Polizei wurde schnell durch Videos widerlegt. Kein Beamter kam zu Schaden, die beiden beteiligten Polizeieinheiten dagegen sind für ihre Brutalität gegen links deutschlandweit berüchtigt: Die Spezialeinheit „USK“ aus Bayern und die „BFE Blumberg“ aus Brandenburg. Viele Teilnehmer*innen der Demo haben das Ereignis und die folgende Freiheitsberaubung von bis zu fünf Monaten noch nicht verarbeitet.  

Kollektivschuld durch neue Gesetze 

Wie schon 2017/2018 beim Skandalprozess gegen den italienischen Azubi Fabio V., der auf derselben Demonstration festgenommen wurde, wird niemandem eine individuelle Straftat zur Last gelegt, sondern die Staatsanwaltschaft klagt kollektiv an: Nach dem Motto „Mitgefangen, mitgehangen – wenn andere vielleicht Straftaten begangen haben, dann seid ihr auch alle mitschuldig!“ Auch im jetzt startenden Prozess werden den Angeklagten lediglich „Anwesenheit bei einer Demo“ gegen den G20-Gipfel und „psychische Beihilfe“ zur Last gelegt.  

Die Anklagen stützen sich, wie auch 2017 bei Fabio, u.a. auf das kurz vor dem G20-Gipfel 2017 neu erlassene Gesetz „Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ (§114 StGB), eine Erweiterung des § 113 StGB. Der § 114 StGB hat eine Mindeststrafe von 3 Monaten und eine Höchststrafe von 5 Jahren Gefängnis! 

Mitglieder des ver.di-Bezirksjugendvorstands NRW-Süd von 2017 


  

Anbei: Dokumente  /  O-Töne 

Weitere Statements & Medien: 

Betroffenenbericht von Mitgliedern des ver.di-Jugendvorstands NRW-Süd (August 2017): https://grundrechteverteidigen.de/wp-content/uploads/2017/08/G20-Betroffenenbericht_verdiJugend.pdf 

 ver.di-Bezirk NRW-Süd fordert öffentliche Aufarbeitung von Polizeiwillkür in Hamburg (Dezember 2017):  

Scharfe Kritik formulierte der Bezirksvorstand am Hamburger Senat, der mit Rückendeckung der Bundesregierung früh die Weichen für harte und eskalierende Auseinandersetzungen rund um den Gipfel gestellt hat. „Die Polizeistrategie muss öffentlich und politisch aufgearbeitet werden“, fordert Monika Bornholdt. Dazu gehören auch die katastrophalen und menschenunwürdigen Zustände in der sogenannten GeSa (Gefangenensammelstelle). Der ver.di-Bezirksvorstand verurteilt die Polizeiwillkür und Polizeigewalt in Hamburg und erklärt sich solidarisch mit den von Grundrechtsverletzungen und Strafverfolgung betroffenen Kolleginnen und Kollegen. In diesem Zusammenhang kritisiert der Bezirksvorstand auch die Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der ver.di-Jugend in der letzten Woche. „Nach unserer Wahrnehmung ist dies völlig unverhältnismäßig“, erklärt Monika Bornholdt. „Scheinbar ging es nicht um die Aufklärung von Straftaten, sondern um die nachträgliche Legitimierung des völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatzes beim G20-Gipfel und um Schikane gegen politisch Aktive.“ 

Italienische Sektion von Amnesty International zum Verfahren: https://www.amnesty.it/g20-amburgo-attesa-del-processo-fabio-vettorel-sia-rilasciato/  

 Innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion Ulla Jelpke (November 2017):   

»Angesichts der skandalösen Begründungen von Fabios fortdauernder Untersuchungshaft könnte man meinen, er stände in Ankara und nicht in Hamburg vor Gericht«. Die Repression solle aus ihrer Sicht vor allem abschreckend wirken. »Mit Rechtsstaatlichkeit hat das in meinen Augen nichts mehr zu tun, das ist vielmehr angewandtes Feindstrafrecht.« 

Pressemitteilung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV, 2017):  
Bilanz der G20-Proteste: Feindbild Demonstrant 
https://www.rav.de/fileadmin/user_upload/rav/g20/20170714_Pressemitteilung_des_RAV_Bilanz_der_G20_Proteste_-_Feindbild_Demonstrant.pdf 

Mitteilungsarchiv des Anwaltlichen G20-Notdienstes des RAV 
https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/anwaltlicher-notdienst-zum-g20-gipfel-in-hamburg-pressemitteilungen/656a74b623602bd5a744f87dd4085da4/ 

Zusammenstellungen weiterer Dokumente und Medien zum Thema 
https://grundrechteverteidigen.de/dokumente/  
https://g20-doku.org/  
https://www.hamburger-gitter.org/  

Seitenumbruch 

O-Töne 

„Das spricht schon Bände: 20.000 „Corona-Leugner“ und Nazis können in Berlin mitten in der Pandemie mit Reichskriegsflaggen demonstrieren und von der Polizei nahezu unbehelligt die Treppen des Bundestags stürmen. Aber uns wird nun in Hamburg als jugendlichen Gewerkschafter*innen und Antifaschist*Innen mit viel Aufwand ein Prozess gemacht, und zwar mehr als drei Jahre nach dem Gipfel. Denen geht es um eine Art Rache gegen links, während rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr weiter wuchern. Ein politischer Riesenwahnsinn. Lasst uns am 28.11. gemeinsam ein Zeichen setzen, online oder auf der Straße!“  

Nils Jansen, Geschäftsführender ver.di-Bezirksjugendvorstand NRW-Süd 2015-2018 und Betroffener 

„Gerade für die zuerst angeklagten Kolleg*innen im Jugendprozess ist dieser eine enorme Belastung: Man erwartet von ihnen, trotz Schule, Ausbildung und Job monatelang jede Woche nach Hamburg und zurück zu fahren – zu einem Prozess, der dann auch noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Und das zum Höhepunkt einer ernsten Pandemie! Warum wird der Prozess nicht an den Wohnort der Angeklagten verlegt? Warum kann keine öffentliche Prozessbeobachtung stattfinden, auch wenn die Angeklagten und die Öffentlichkeit das wünschen? Sicher erhoffen sich Polizei und Justiz durch solche Maßnahmen ein „Einknicken“ der jungen Mitstreiter*innen vor Gericht. Was hier passiert, ist präventive Bestrafung und Maßregelung, ganz ohne dass je ein Urteil gesprochen wurde.“  

Carlotta Grohmann, Mitglied im ver.di-Bezirksjugendvorstand NRW-Süd 2016-2018 und Betroffene 

„Wir wollten gemeinsam an den angekündigten Blockaden gegen Trump, Erdogan und Co. teilnehmen, doch dazu kam es nicht: Nach nur 20 Minuten stoppte die Polizei unseren Demonstrationszug, dann ging alles blitzschnell. Von zwei Seiten wurden wir von dutzenden Polizisten und zwei Wasserwerfern angegriffen und unsere Demo regelrecht zerschlagen. Für uns kam der Angriff der Polizei völlig aus dem Nichts, die Menschen flohen in Panik, viele wurden schwer verletzt.“  

Bonner Klimaaktivistin und Betroffene 

„Wir wurden alle in eine so genannte „Gefangenensammelstelle“ gebracht, die Zustände dort waren entwürdigend: Wir wurden in einen fensterlosen Container mit nichts als einer Holzbank und glatten weißen Wänden gesperrt. Alle außer den Minderjährigen wurden dort über 35 Stunden festgehalten. Wir alle mussten uns vor der Polizei nackt ausziehen, Frauen wurden besonders von der Polizei erniedrigt: Eine junge Kollegin wurde gezwungen, unter den Augen der Beamten ihren Tampon herauszunehmen, und bekam anschließend keinen neuen.“  

Bonner Aktivist bei “Bonn Stellt Sich Quer – Neonazis Blockieren!” und Betroffener 

O-Töne (Fortsetzung) 

„Damit werden gemeinschaftliches Demonstrieren und gemeinschaftlicher Widerstand schlechthin kriminalisiert. Sollten die neuen Gesetze so angewandt werden, wie es sich die Staatsanwaltschaft wünscht, werden sie das gesamte Demonstrationsgeschehen in Deutschland nachhaltig verändern: Wenn jeder Demonstrant Angst haben muss, z.B. im Falle eines Handgemenges hinter Gittern zu landen – und zwar auch, wenn es von der Polizei ausging – werden sich viele von der Teilnahme an Kundgebungen, Demos oder Streiks abgeschreckt sehen. Das wäre ein gefährlicher Dammbruch und muss unbedingt verhindert werden.“  

Carlotta Grohmann, Mitglied im ver.di-Bezirksjugendvorstand NRW-Süd 2016-2018 und Betroffene 

„Die politischen Entwicklungen rund um den G20-Gipfel und in den letzten Jahren zeigen in eine eindeutige Richtung: Die Bundesregierung wünscht sich eine Ordnung, in der zunehmend nicht mehr der Bürger durch Grundrechte vor dem Eingreifen des Staates geschützt wird, sondern Staat, Polizei und Regierung vor der eigenen Bevölkerung. Wir aber wollen keinen solchen Obrigkeitsstaat: Es braucht gerade heute politisch aktive, wache, kritische Bürgerinnen und Bürger, die ihrer Stimme auch Gehör verschaffen können.“ 

Nils Jansen, Geschäftsführer des ver.di-Bezirksjugendvorstands NRW-Süd 2015-2018 und Betroffener 

„Die Prozesse in Hamburg sind Testballons für die Zukunft – lasst uns jetzt gemeinsam handeln, um das Versammlungsrecht zu schützen! Wir demonstrierten in Hamburg und demonstrieren auch heute für eine vorwärtsgewandte und solidarische Lösung der drängenden Menschheitsprobleme. Unser Wirtschaftssystem und an seiner Spitze die G20-Staaten, gerade auch die Banken und Konzerne aus Deutschland, sind Hauptverantwortliche für Klimawandel, Kriege und soziale Unterdrückung. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass antikapitalistische Proteste nach 2017 sogar noch deutlich zugenommen haben, und weiterhin zunehmen werden, solange keine gesellschaftlichen Lösungen da sind. Politische Repression wird den Protest nicht abschalten, ganz im Gegenteil.“  

Simon Ernst, ver.di-Jugendvorstand NRW-Süd 2007-2013; Mitglied im ver.di-Bezirksfachbereichsvorstand Bildung, Wissenschaft und Forschung Köln-Bonn-Leverkusen; im Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V. und im Internationalen gewerkschaftlichen Arbeitskreises Köln e.V., Betroffener 

 
„Mit dem bundesweiten Aktionstag wollen wir gemeinsam Öffentlichkeit für den Prozess und seine gesellschaftliche Bedeutung schaffen, damit er nicht im Halbdunkeln von (Corona-) Hinterzimmern abläuft, und ein solidarisches Zeichen an die zuerst angeklagten jungen Demonstrant*innen senden: Ihr könnt wissen, ihr seid nicht allein! Sie sollen nämlich durch die ständigen Prozessfahrten und den Eingriff in ihre Ausbildung, ihr Abitur und ihr Studium eingeschüchtert werden. Nicht mit uns!“  

Simon Ernst, ver.di-Jugendvorstand NRW-Süd 2007-2013; Mitglied im ver.di-Bezirksfachbereichsvorstand Bildung, Wissenschaft und Forschung Köln-Bonn-Leverkusen; im Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V. und im Internationalen gewerkschaftlichen Arbeitskreises Köln e.V., Betroffener 

Größter G20-Prozess bisher beginnt: Unsere Solidarität mit den „Rondenbarg“-Angeklagten ist gefragt!

Liebe Interessierte und Aktive gegen den Grundrechtabbau,

über 3 Jahre nach dem G20 Gipfel in Hamburg beginnen nun die von der Staatsanwaltschaft schon 2019 angekündigten „Mammutprozesse“ gegen die vom Polizeiübergriff in der Hamburger Straße „Rondenbarg“ betroffenen Demonstrant*innen.

Insgesamt sollen in mehreren „Paketen“ über 50 Demonstrant*innen angeklagt werden, die alle Opfer der Massenfestnahme am „Rondenbarg“ waren. Als erstes werden die fünf Demonstrant*innen vor Gericht gestellt, die bei der Demo noch minderjährig waren. Danach oder parallel kommen dann weitere Prozesse, in denen ebenfalls jeweils 20 Angeklagte, 40 VerteidigerInnen, 5-6 RichterInnen und Vertreter und zwei StaatsanwältInnen sitzen sollen – ein Riesenwahnsinn und die größten G20-Prozesse bisher.

In aller Kürze: 

// Beteiligt euch am 28.11. am dezentralen Aktionstag:  Auf der Straße oder online.

// Bleibt auf dem Laufenden und beteiligt euch an den Aktionen zur Prozessbegleitung: Erster Termin am 3.12. in Hamburg

// Spendet für die Betroffenen Aktivist*Innen auf das Konto der Roten Hilfe (s.u.)

Was war geschehen?

Mindestens 14 DemonstrantInnen wurden am 7.7.2017 z.T. schwer verletzt, als die Polizei die Anti-G20-Demonstration in der Hamburger Straße Rondenbarg binnen Sekunden brutal zerschlug. Nach sich widersprechenden Aussagen der Polizei wurden 4-12 Steine bzw. Böller in Richtung der Polizei geworfen, als diese die aus mehr als 150 Personen bestehende Demo ohne Ankündigung überfallartig auflöste. Kein Beamter kam zu Schaden, die beteiligten Polizeieinheiten dagegen sind für ihre Brutalität deutschlandweit berüchtigt: Das USK aus Bayern und die bundesweit bekannte Schlägertruppe der Einheit „BFE Blumberg“. Dazu hier die taz bereits 2016 (link).

Viele TeilnehmerInnen der Demo haben das Ereignis und die folgende Freiheitsberaubung von bis zu fünf Monaten noch nicht verarbeitet. Hier ein Betroffenenbericht des ver.di-Jugendvorstands NRW-Süd von damals (link).

„Angeklagt sind Wenige, gemeint sind wir alle!“ – Verteidigt die Versammlungsfreiheit! 

Genau wie beim Prozess gegen den Italienischen Azubi Fabio V. im Juli 2017, wird niemandem eine individuelle Straftat zur Last gelegt, sondern die Staatsanwaltschaft klagt kollektiv an nach dem Motto „mitgefangen, mitgehangen –wenn andere vielleicht Straftaten begangen haben, dann seit ihr auch alle mitschuldig“. Schon „Anwesenheit bei einer Demo“ gegen den G20-Gipfel und „psychische Beihilfe“ werden kriminalisiert, und damit gemeinschaftliches Demonstrieren und gemeinschaftlicher Widerstand schlechthin. Hier der NDR dazu (link).

Dafür will die Staatsanwaltschaft u.a. die kurz vor dem G20 Gipfel 2017 neu erlassenen Gesetze zum „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ (§113/§114 StGB) anwenden. Demnach droht hierfür künftig eine Mindeststrafe von drei Monaten – für den Vorwurf des Widerstands reicht oft schon ein ängstlich weggezogener Arm. Zudem wurde der Katalog für besonders schwere Fälle, die mit sechs Monaten Mindeststrafe belegt sind, erweitert: Künftig reicht dafür u.a. auch die so genannte gemeinschaftliche Tatausführung – doch welche Demonstration, welcher Streik erfolgt nicht gemeinschaftlich?

Sollten die neuen Gesetze so angewandt werden wie es sich die Staatsanwaltschaft wünscht, werden sie das gesamte Demonstrationsgeschehen in Deutschland nachhaltig verändern. Wenn jeder Demonstrant Angst haben muss, z.B. im Falle eines Handgemenges hinter Gittern zu landen – und zwar auch, wenn es von der Polizei ausging – werden sich viele von der Teilnahme an Kundgebungen, Demos oder Streiks abgeschreckt sehen. Die Prozesse in Hamburg sind deshalb Testballons für die Zukunft – wir müssen jetzt gemeinsam handeln um das Versammlungsrecht zu schützen! Hier weitere Hintergründe (link).

Werdet aktiv: Bundesweiter Dezentraler Aktionstag am Samstag, 28.11.2020 und Prozessbegleitung

Lasst uns gemeinsam Öffentlichkeit für den Prozess schaffen, damit er nicht im Halbdunkeln von (Corona-)
Hinterzimmern abläuft, und ein solidarisches Zeichen an die zuerst angeklagten jungen Demonstrant*innen senden: Ihr seid nicht allein! Sie sollen durch die ständigen Prozessfahrten und den Eingriff in ihre Ausbildung, ihr Abitur und ihr Studium eingeschüchtert werden. Lasst uns ihnen gemeinsam zeigen: Nicht mit uns!

Wir rufen alle auf: Beteiligt euch am 28.11. an den Aktionen in euren Städten oder organisiert selbst weiteren kreativen Protest am Aktionstag. Eine (sicher unvollständige) Liste der bisher bekannten Aktionen* zum dezentralen Aktionstag gibt es auf der Seite der Kampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“, die versucht, die einzelnen Initiativen zu vernetzen:

https://gemeinschaftlich.noblogs.org/aktionen/ 
und auf Twitter @Rondenbarg_Soli

Alle, die wegen Corona oder aus anderen Gründen nicht auf die Straße können/wollen rufen wir dazu auf, in den sozialen Medien aktiv zu werden: Postet Bilder von euch (mit oder ohne Gesicht, mit oder ohne Maske, in der Gruppe oder allein vor dem Rechner) und einem Schild zum Thema (z.B. „Grundrechte verteidigen!“, „Polizeigewalt stoppen!“, „Solidarität mit den G20-Angeklagten!“ usw.) und verbreitet sie unter den Hashtags #Rondenbarg #noG20 #Polizeiproblem #Polizeigewalt.

Beteiligt euch an den Aktionen im Laufe der Prozesse: Es werden regelmäßig Kundgebungen und Aktionen stattfinden. Auf www.grundrechteverteidigen.de werden immer die aktuellsten Termine bekannt gegeben.

Spendet für die von Repression Betroffenen Aktivist*innen auf folgendes Konto:

Rote Hilfe e.V.
IBAN: DE25 2605 0001 0056 0362 39 
Sparkasse Göttingen
Stichwort „G20“

Alle Aktionen auf der Straße mit Corona-Schutz!

aus: ARD / WDR – Monitor 15.11.2018

Polizeigewalt: Kaum Schutz für Opfer

Polizisten würden immer öfter angegriffen und müssten besser geschützt werden. Mit dieser Begründung verschärfte die Bundesregierung 2017 das Strafrecht: Wer sich Polizisten widersetzt, riskiert heute auch für Bagatellen harte Strafen, sogar Haft. Außerdem kann praktisch jede Handlung als Widerstand gewertet und so strafrechtlich verfolgt werden, sagen Fachleute. Gewalt von Polizisten gegen Bürger bleibt dagegen oft ohne Folgen. Der allergrößte Teil der Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte wegen rechtswidriger Übergriffe wird eingestellt. Dabei überschreiten Polizisten im Dienst nicht selten ihre Grenzen und gehen übermäßig hart gegen Bürger vor.

Von Jochen Taßler, Lara Straatmann, Herbert Kordes, Max Scharffetter

https://youtu.be/jiylYN6oBOs

https://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-polizeigewalt-kaum-schutz-fuer-opfer-100.html

tagesschau vom 24.7.

ARD-Recherchen

Polizeigewalt meist ohne Konsequenzen

Stand: 24.07.2018 15:14 Uhr

Der Vorwurf, Polizeigewalt in Deutschland werde nur unzureichend geahndet, ist nicht neu – aber nun wird er durch Zahlen gestützt. Wie Recherchen des Kriminologen und Juristen Tobias Singelnstein von der Ruhr-Uni Bochum und des ARD-Politmagazins Report Mainz ergeben, gab es 2016 insgesamt 2383 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte wegen rechtswidriger Gewaltausübung. In 90 Prozent der Fälle allerdings wurden die Verfahren eingestellt, in nur 2,34 Prozent der Fälle wurde Anklage erhoben oder ein Strafbefehl erlassen.

Zu große Nähe zwischen Ermittlern und Beklagten

Ähnlich sah es laut Report Mainz für den Zeitraum von 2010 bis 2015 aus. Gestützt werden diese Zahlen nach Angaben des Politmagazins auch durch Aussagen von Polizisten. So habe ein hochrangiger Polizeibeamter die Ergebnisse bestätigt.

Den Grund für die geringe Aufklärungsquote sieht Kriminologe Singelnstein vor allem in der institutionellen Nähe der ermittelnden Behörden zu den beschuldigten Beamten. Notwendig sei daher die Einrichtung unabhängiger Ermittlungsstellen – wie es in vielen anderen Ländern üblich ist.

Strukturelles Problem

Der Wissenschaftler will nicht von Einzelfällen sprechen, sondern sieht ein strukturelles Problem. So sprächen sich im Falle von Ermittlungen die betroffenen Polizisten oft so ab, dass das rechtswidrige Verhalten nicht der Polizei, sondern dem Gegenüber angelastet werden kann: „Das ist eine Struktur innerhalb der Polizei. Das kommt relativ häufig vor. In der Kriminologie sprechen wir von der Mauer des Schweigens, die auf dem besonderen Korpsgeist, der innerhalb der Polizei herrscht, basiert. Und es gilt innerhalb der Polizei als untunlich, diese Basis zu verlassen und die Kollegen zu beschuldigen“, sagt Singelnstein.

Hintergrund: Prügelnde Polizisten in Stuttgart

Report Mainz hatte die Recherchen zur Polizeigewalt in Deutschland angestoßen, nachdem vier Polizeibeamte nach einem Unfall in Stuttgart im Jahr 2017 auf einen wehrlosen Mann eingeprügelt hatten. Das dokumentieren ein über neun Minuten langes Video und mehr als 230 Fotos. Zeugen am Tatort bestätigten, dass von dem Opfer keinerlei Gewalt ausgegangen sei. Zwei Experten bezeichnen die auf dem Video dokumentierte Gewalt als kriminell.

Doch das Polizeipräsidium Stuttgart stellte den Vorfall in einer Pressemitteilung vom gleichen Tag anders dar: Da ist die Rede von einem rabiaten Beifahrer, der gegen einen Polizisten tätlich wurde. Entsprechend negativ ist die Berichterstattung über das Opfer. Gegen ihn wird bis heute wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte strafrechtlich ermittelt. Denn die vier beteiligten Polizisten gaben später gleichlautende dienstliche Erklärungen ab, er habe einen Beamten angegriffen. Doch davon ist weder auf dem Video noch auf den Fotos etwas zu erkennen, und Zeugen am Tatort haben ein solches Verhalten auch nicht beobachtet.

Gegen drei von vier der beteiligten Beamten wurde das Ermittlungsverfahren inzwischen eingestellt.

Über dieses Thema berichtete Report Mainz am 24. Juli 2018 um 21:45 Uhr.

Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/monitor-polizeigewalt-103.html

„Es han­delt sich um ein zu­tiefst po­li­ti­sches Po­li­zei­ge­setz…“ UZ-Interview 6.7.

INTERVIEW

NRW will Polizeigesetz verschärfen

Markus Bernhardt im Gespräch mit Nils Jansen, Sprecher der Initiative Grundrechte verteidigen – Ausgabe vom 6. Juli 2018

 

UZ: Die nord­rhein-west­fä­li­sche Lan­des­re­gie­rung aus CDU und FDP will das Po­li­zei­ge­setz no­vel­lie­ren. Was kon­kret haben Sie an den Plä­nen von Lan­des­in­nen­mi­nis­ter Her­bert Reul (CDU) aus­zu­set­zen?

Nils Jan­sen: In NRW soll künf­tig jede Ein­woh­ne­rin und jeder Ein­woh­ner unter dem Vor­wand der Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und der „Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung“ kom­plett durch­leuch­tet, ab­ge­hört und sogar weg­ge­sperrt wer­den kön­nen, zum Teil sogar unter Um­ge­hung von Rich­tern, di­rekt durch die Po­li­zei­be­hör­den. So will es Reuls im Juni zu­rück­ge­zo­ge­ner Ge­set­zes­ent­wurf, und das wird auch im Sep­tem­ber bei der Neu­vor­la­ge Thema sein. Kern des neuen Po­li­zei­ge­set­zes ist die Ein­füh­rung des Rechts­be­grif­fes der „dro­hen­den Ge­fahr“.
Durch die Fi­xie­rung auf die bloße Ver­mu­tung einer Ge­fahr, ohne dass Straf­ta­ten be­gan­gen wür­den, wird die Po­li­zei­tä­tig­keit grund­le­gend ver­än­dert und vor­ver­la­gert in einen Be­reich, in dem keine kon­kre­te Ge­fahr exis­tiert. Ver­bre­chen so weit im Vor­feld zu ver­hin­dern, mag viel­leicht man­chem im ers­ten Mo­ment wün­schens­wert er­schei­nen, er­hebt aber un­ver­däch­ti­ges, grund­recht­lich ge­schütz­tes und auch ge­sell­schaft­lich wün­schens­wer­tes Han­deln in den Be­reich des Ver­däch­ti­gen.
Es han­delt sich um ein zu­tiefst po­li­ti­sches Po­li­zei­ge­setz, das die „Si­cher­heit“ der Re­gie­rung und der herr­schen­den ge­sell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se im Blick hat, nicht aber die Si­cher­heit der Be­völ­ke­rung. Für die Be­völ­ke­rung ist das Ge­setz sogar brand­ge­fähr­lich: Wer in Zei­ten zu­neh­men­der so­zia­ler Kon­flik­te Pro­tes­te or­ga­ni­siert, z.B. gegen eine Werks­schlie­ßung oder gegen Ras­sis­mus und die Ver­herr­li­chung von neo­na­zis­ti­schem Ge­dan­ken­gut, wird in Zu­kunft ganz kon­kret durch Haft be­droht.
Das hat spä­tes­tens die erste An­wen­dung die­ser Re­ge­lung im neuen bay­ri­schen „Po­li­zei­auf­ga­ben­ge­setz“ gegen einen Ju­gend­li­chen am 26. Juni ein­drück­lich ge­zeigt. Der junge An­ti­ras­sist ohne Vor­stra­fen wurde ein­ge­sperrt, weil er an der De­mons­tra­ti­on gegen den Augs­bur­ger AfD-Par­tei­tag teil­neh­men woll­te. Die Po­li­zei sah darin eine dro­hen­de Ge­fahr, was für den Frei­heits­ent­zug aus­reich­te.
Das Ge­setz in NRW äh­nelt dem bay­ri­schen Ge­setz. Es sieht vor, von der Po­li­zei de­fi­nier­te „Ge­fähr­der“ bis zu einen Monat in „Prä­ven­tiv­ge­wahr­sam“ ste­cken zu kön­nen – ohne Ge­richts­ver­fah­ren. Aber die schwe­ren Grund­rechts­ein­grif­fe be­tref­fen bei Wei­tem nicht nur das Ver­samm­lungs­recht. Die neuen Re­ge­lun­gen er­mög­li­chen der Po­li­zei, Men­schen auch ohne kon­kre­ten Ver­dacht an­zu­hal­ten und zu durch­su­chen oder mit Haus­ar­rest und elek­tro­ni­schen Fuß­fes­seln zu be­le­gen – nicht nur ra­ci­al pro­filing ist da pro­gram­miert. Die Po­li­zei soll das Recht er­hal­ten, nach ihrem Be­lie­ben Smart­pho­nes und vor allem Mes­sen­ger wie Whats­App zu ha­cken und mit­zu­le­sen – der völ­li­ge Ver­lust der Pri­vat­sphä­re. Zudem wird auch die Vi­deo­über­wa­chung des öf­fent­li­chen Raums aus­ge­wei­tet – ein hand­fes­ter Alp­traum für un­se­re de­mo­kra­ti­schen Grund­rech­te.

UZ: Sie be­fürch­ten also – auf den Punkt ge­bracht – dass sich die BRD in Rich­tung eines au­to­ri­tä­ren Po­li­zei­staa­tes ent­wi­ckelt?

Nils Jan­sen: Ja, of­fen­sicht­lich. Seit 1945 hat es in Deutsch­land keine Aus­wei­tung po­li­zei­li­cher Be­fug­nis­se in die­ser Grö­ßen­ord­nung ge­ge­ben. Die Ver­schär­fung des Po­li­zei­ge­set­zes ist zudem lei­der nur der Gip­fel einer lan­gen Reihe von Grund­rechts­ein­grif­fen. Viele Ele­men­te eines Po­li­zei­staa­tes sind ja längst da: Sei es die Ein­schrän­kung des Ver­samm­lungs­rechts, der Aus­bau von Face­book/Whats­App-Über­wa­chung durch den Bun­de­stro­ja­ner oder die Ein­schrän­kung des Streik­rechts durch die „Ta­rif­ein­heit“ oder auch die fak­ti­sche Auf­he­bung der Grund­rech­te von Mil­lio­nen Mi­gran­ten und Ge­flüch­te­ten in den letz­ten Jah­ren, z.B. durch das „Asyl­pa­ket II“. Auch die ganz ma­te­ri­el­le Ge­walt des exis­tie­ren­den Po­li­zei­ap­pa­ra­tes ist groß und wurde in den letz­ten Jah­ren durch viele Ge­set­ze und Maß­nah­men wei­ter aus­ge­baut, so dass mitt­ler­wei­le auf 177 Ein­woh­ner ein Po­li­zist kommt. Zudem wur­den die an­ti­fa­schis­ti­schen Leh­ren des Hit­ler-Fa­schis­mus durch den Kamin ge­jagt: Ge­heim­diens­te und Po­li­zei­be­hör­den haben gleich mehr­fach ge­mein­sa­me Da­ten­ba­sen und Haupt­quar­tie­re ge­schaf­fen, wie z.B. das GTAZ und das GTEZ. Und zu­neh­mend er­klä­ren die­sel­ben In­nen­po­li­ti­ker, dass dies Maß­nah­men sind, die auch dazu die­nen, die po­li­ti­sche Linke zu be­kämp­fen. Es ist an der Zeit, dem Rad in die Spei­chen zu grei­fen!

UZ: Aber ist es in Zei­ten zu­neh­men­der „ter­ro­ris­ti­scher Be­dro­hung“, die die eta­blier­te Po­li­tik aus­ge­macht hat, nicht tat­säch­lich not­wen­dig, die Be­fug­nis­se der Si­cher­heits­be­hör­den an­zu­pas­sen?

Nils Jan­sen: Wer beim Wort „Ge­fähr­der“ an Ter­ro­ris­ten denkt, liegt da­ne­ben! Denn fest­ge­leg­te Kri­te­ri­en für „Ge­fähr­der“ gibt es nicht, das ent­schei­det zu­nächst die Po­li­zei­be­hör­de selbst. Be­trof­fen von die­sen Ein­grif­fen in Grund­rech­te ist wirk­lich jeder: Fuß­ball­fans oder Streik­füh­rer, Whist­leb­lo­wer oder De­mons­tran­ten – tref­fen kann das neue Ge­setz na­he­zu jede und jeden. Es reicht schon, be­stimm­te In­ter­net­sei­ten an­zu­kli­cken, mit „ver­däch­ti­gen“ Per­so­nen in Kon­takt zu ste­hen oder ein­fach zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort zu sein. In Thü­rin­gen wurde im Mai der An­mel­der eines lin­ken Mu­sik­fes­ti­vals von der Po­li­zei zum „Ge­fähr­der“ er­klärt, weil er eine Band auf­tre­ten ließ, die dem tür­ki­schen Prä­si­den­ten Er­do­gan nicht passt: Grup Yorum.
Um gegen die wach­sen­den ter­ro­ris­ti­schen Be­dro­hun­gen auf die­ser Welt ef­fek­tiv etwas un­ter­neh­men zu kön­nen, müs­sen nicht Mil­lio­nen Men­schen über­wacht wer­den. Da wäre na­tür­lich viel ef­fek­ti­ver, und ohne jeden Grund­rechts­ein­griff mach­bar, dass die deut­sche Re­gie­rung die Rüs­tungs­zu­sam­men­ar­beit mit den Haupt­fi­nan­ciers des Ter­rors un­ter­bin­det: Sau­di-Ara­bi­en, Tür­kei und Qatar, um nur ei­ni­ge zu nen­nen. Oder dass, wie beim La­far­ge-Pro­zess in Frank­reich, die Geld­wä­sche von Or­ga­ni­sa­tio­nen wie dem IS an­ge­grif­fen würde. Lei­der gab es in die­ser Hin­sicht fast keine Be­mü­hun­gen, was auch zeigt, dass die Be­grün­dung der ak­tu­el­len Grund­rechts­ein­grif­fe nur vor­ge­scho­ben sein kann. Der La­far­ge-Pro­zess ist der erste sei­ner Art. In Wirk­lich­keit wol­len Re­gie­rung und Wirt­schaft – hier vor allem die größ­ten Kon­zer­ne – neue Un­ter­drü­ckungs­me­cha­nis­men gegen die ei­ge­ne Be­völ­ke­rung, in stür­mi­schen Zei­ten wach­sen­der so­zia­ler Span­nun­gen.

UZ: Nun dürf­ten Ihnen viele Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ent­geg­nen, dass wer nichts zu ver­ber­gen habe, auch nichts be­fürch­ten müsse. Was ant­wor­ten Sie dar­auf?

Nils Jan­sen: Oh, das ist sehr naiv und kurz ge­dacht. Die­ser Ge­dan­ke dreht ja den grund­le­gen­den Ge­dan­ken der bür­ger­lich-de­mo­kra­ti­schen Re­vo­lu­tio­nen um in: „Tu, was der Ob­rig­keit ge­nehm ist, dann pas­siert dir nichts.“ Man möge die Bill of Rigths von 1789 an­se­hen – dem Staat wer­den von Be­ginn des bür­ger­li­chen Rechts­den­kens an Gren­zen ge­setzt: Der Staat darf nicht durch­su­chen, außer, der Staat darf nicht deine Frei­heit rau­ben, außer. Der neue Grund­satz: „Wer nichts zu ver­ber­gen hat, …“ ist eine Um­kehr des­sen. Es ist die Ein­wil­li­gung in die An­eig­nung un­se­rer Nach­rich­ten, un­se­rer Bil­der, un­se­rer Vi­de­os, un­se­rer Pri­vat­sphä­re, un­se­res in­ti­men Le­bens, un­se­rer ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Be­zie­hun­gen durch den Staat und be­son­ders durch die Po­li­zei. Ein di­gi­ta­les Ti­cket zu­rück ins Mit­tel­al­ter.

UZ: Zu­neh­mend sol­len Per­so­nen bei einer „dro­hen­den Ge­fahr“ auch bis zu vier Wo­chen in Ge­wahr­sam ge­nom­men wer­den kön­nen. Kommt das nicht einer Art Schutz­haft gleich?

Nils Jan­sen: Ja, Ge­fähr­der­haft oder Prä­ven­tiv­haft ist nur ein neuer Name für die alte po­li­ti­sche „Schutz­haft“. Ur­sprüng­lich von Kai­ser Wil­helm gegen die Ar­bei­ter­be­we­gung er­las­sen, die gegen den ers­ten Welt­krieg pro­tes­tier­te, rich­te­te sich die Schutz­haft schon von An­fang an gegen Links. Mit der de­mo­kra­ti­schen Re­vo­lu­ti­on vor 100 Jah­ren wurde die Schutz­haft dann ab­ge­schafft, aber dann 1933 mit Hit­lers Macht­an­tritt wie­der ein­ge­führt. Der­je­ni­ge sei in Schutz­haft zu neh­men, der bei Juden ein­kau­fe und daher seine staats­feind­li­che Ge­sin­nung zum Aus­druck brin­ge, heißt es in da­ma­li­gen Schutz­haft­be­feh­len bei­spiels­wei­se. Nach 1945 gab es dann eine er­neu­te An­wen­dung nur gegen die Geg­ner der Re­mi­li­ta­ri­sie­rung, also vor allem gegen Kom­mu­nis­ten und an­de­re Linke.

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