aus: junge Welt vom 7.10.

Demonstrationsrecht

»Pfefferspray kann schlimme Auswirkungen haben«

Eingriff in Grundrechte: Demonstrationen sollten nicht von Spezialeinsatzkräften ­begleitet werden. Ein Gespräch mit Alexander Bosch

Markus Bernhardt

Wie gefährdet ist die Versammlungsfreiheit in der Bundesrepublik?

Insgesamt ist sie es nicht, trotzdem kann man in Deutschland polizeiliche und gesetzgeberische Maßnahmen beobachten, die negative Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts haben und Menschen davon abhalten können, ihr Grundrecht wahrzunehmen.

Welche Maßnahmen meinen Sie?

Sei es durch die gerade erfolgte Strafrechtsverschärfung »zum Schutz von Polizeibeamten«, sei es durch Meldeauflagen oder eine Einsatztaktik, die nicht auf Deeskalation setzt. Auch versuchen staatliche Akteure immer wieder, unliebsame Demonstrationen zu verbieten.

Damit einher geht eine zunehmende Aufrüstung und Militarisierung des Polizeiapparats. Der Berliner Senat aus SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen beschafft gerade zwei gepanzerte Fahrzeuge, darunter einen sogenannten Survivor. Ein solches kugelsicheres Kriegsfahrzeug war bereits bei den Protesten den G-20-Gipfel im Juli in Hamburg im Einsatz. Es schützt seine Insassen sogar vor Angriffen mit atomaren und chemischen Kampfstoffen und kann auf Wunsch mit Abschussanlagen für Tränengas ausgestattet werden. Wofür ist eine solche Anschaffung nötig?

Inwieweit die Anschaffung solcher Fahrzeuge für den Worst Case notwendig ist, kann ich nur schwer beurteilen. Trotzdem stellt sich die Frage, was solche Fahrzeuge sowie Spezialeinsatzkräfte, SEK, auf Demonstrationen zu suchen haben. Weder stehen oder standen wir in Deutschland in den vergangenen Jahren vor dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung oder mussten Aufstände bekämpfen. Wir sollten schon darüber diskutieren, ob zu einer gewöhnlichen Antifa-Demo in Sachsen das SEK aufgefahren werden muss oder ob hier nicht durch Polizeitaktik auch Feindbilder am Leben gehalten werden und legitimer Protest kriminalisiert wird?

Sie haben in der Vergangenheit auch mehrfach vor dem Einsatz von Pfefferspray und sogenannten Tasern durch Polizeibeamte gewarnt. Aus welchem Grund?

Pfefferspray und Taser sind nicht harmlos. Beide Einsatzmittel bergen Risiken für Leib und Leben. So gibt es in den USA immer wieder Todesopfer durch den Einsatz des Tasers, und auch Pfefferspray kann schlimmste Auswirkungen auf Menschen haben. Deshalb sollte der Gebrauch dieser Einsatzmittel eingeschränkt, besser kontrolliert und auch dokumentiert werden.

Also fordern Sie auch ein Verbot dieser Waffen bei Polizeieinsätzen, wie es etwa der Vorsitzende der »Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten«, Thomas Wüppesahl, jüngst im Interview mit dieser Zeitung gefordert hat?

Nein, wir fordern kein Verbot. Aber Pfefferspray sollte nicht gegen größere Menschenmengen eingesetzt werden und der Einsatz sollte insgesamt besser dokumentiert werden. Weiter sind wir der Auffassung, den Taser sollten nur Spezialkräfte der Polizei bekommen, die regelmäßig und extra im Umgang mit dieser Waffe geschult werden. Es darf bei den Polizeikräften nicht der Eindruck entstehen, man hätte mit dem Taser nun eine harmlose Allzweckwaffe.

Die bundesdeutsche Gesellschaft rückt zunehmend nach rechts. Sehen Sie vor diesem Hintergrund überhaupt realistische Möglichkeiten, die noch bestehenden Grund- und Freiheitsrechte erfolgreich zu verteidigen?

Ich bin Fan von Ajax Amsterdam und dort gilt das Motto: Angriff ist die beste Verteidigung! Deshalb sollten wir als Zivilgesellschaft nicht resignieren, sondern unsere Kräfte bündeln und nach Wegen suchen, wieder in die Offensive gehen zu können. Wir müssen Druck auf die Gegnerinnen und Gegner von Grund- und Menschenrechten aufbauen. Ich bleibe aber optimistisch, wenn ich lese, dass insbesondere junge Menschen beispielsweise Racial Profiling als Problem sehen und ablehnen. Sie müssen wir weiter aktivieren. Ich glaube dafür ist es unabdingbar, sie auf emotionale Weise dafür zu sensibilisieren, was auf dem Spiel steht – für sie persönlich und die Gesellschaft insgesamt.

Alexander Bosch ist Sprecher für den Themenkomplex »Polizei und Menschenrechte« bei Amnesty International Deutschland. Er nimmt als Referent beim heute stattfindenden Grundrechtekongress »Demonstrationsrecht verteidigen!« in Düsseldorf teil