NRW will Polizeigesetz verschärfen
UZ: Die nordrhein-westfälische Landesregierung aus CDU und FDP will das Polizeigesetz novellieren. Was konkret haben Sie an den Plänen von Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) auszusetzen?
Nils Jansen: In NRW soll künftig jede Einwohnerin und jeder Einwohner unter dem Vorwand der Verbesserung der Sicherheit und der „Terrorismusbekämpfung“ komplett durchleuchtet, abgehört und sogar weggesperrt werden können, zum Teil sogar unter Umgehung von Richtern, direkt durch die Polizeibehörden. So will es Reuls im Juni zurückgezogener Gesetzesentwurf, und das wird auch im September bei der Neuvorlage Thema sein. Kern des neuen Polizeigesetzes ist die Einführung des Rechtsbegriffes der „drohenden Gefahr“.
Durch die Fixierung auf die bloße Vermutung einer Gefahr, ohne dass Straftaten begangen würden, wird die Polizeitätigkeit grundlegend verändert und vorverlagert in einen Bereich, in dem keine konkrete Gefahr existiert. Verbrechen so weit im Vorfeld zu verhindern, mag vielleicht manchem im ersten Moment wünschenswert erscheinen, erhebt aber unverdächtiges, grundrechtlich geschütztes und auch gesellschaftlich wünschenswertes Handeln in den Bereich des Verdächtigen.
Es handelt sich um ein zutiefst politisches Polizeigesetz, das die „Sicherheit“ der Regierung und der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse im Blick hat, nicht aber die Sicherheit der Bevölkerung. Für die Bevölkerung ist das Gesetz sogar brandgefährlich: Wer in Zeiten zunehmender sozialer Konflikte Proteste organisiert, z.B. gegen eine Werksschließung oder gegen Rassismus und die Verherrlichung von neonazistischem Gedankengut, wird in Zukunft ganz konkret durch Haft bedroht.
Das hat spätestens die erste Anwendung dieser Regelung im neuen bayrischen „Polizeiaufgabengesetz“ gegen einen Jugendlichen am 26. Juni eindrücklich gezeigt. Der junge Antirassist ohne Vorstrafen wurde eingesperrt, weil er an der Demonstration gegen den Augsburger AfD-Parteitag teilnehmen wollte. Die Polizei sah darin eine drohende Gefahr, was für den Freiheitsentzug ausreichte.
Das Gesetz in NRW ähnelt dem bayrischen Gesetz. Es sieht vor, von der Polizei definierte „Gefährder“ bis zu einen Monat in „Präventivgewahrsam“ stecken zu können – ohne Gerichtsverfahren. Aber die schweren Grundrechtseingriffe betreffen bei Weitem nicht nur das Versammlungsrecht. Die neuen Regelungen ermöglichen der Polizei, Menschen auch ohne konkreten Verdacht anzuhalten und zu durchsuchen oder mit Hausarrest und elektronischen Fußfesseln zu belegen – nicht nur racial profiling ist da programmiert. Die Polizei soll das Recht erhalten, nach ihrem Belieben Smartphones und vor allem Messenger wie WhatsApp zu hacken und mitzulesen – der völlige Verlust der Privatsphäre. Zudem wird auch die Videoüberwachung des öffentlichen Raums ausgeweitet – ein handfester Alptraum für unsere demokratischen Grundrechte.
UZ: Sie befürchten also – auf den Punkt gebracht – dass sich die BRD in Richtung eines autoritären Polizeistaates entwickelt?
Nils Jansen: Ja, offensichtlich. Seit 1945 hat es in Deutschland keine Ausweitung polizeilicher Befugnisse in dieser Größenordnung gegeben. Die Verschärfung des Polizeigesetzes ist zudem leider nur der Gipfel einer langen Reihe von Grundrechtseingriffen. Viele Elemente eines Polizeistaates sind ja längst da: Sei es die Einschränkung des Versammlungsrechts, der Ausbau von Facebook/WhatsApp-Überwachung durch den Bundestrojaner oder die Einschränkung des Streikrechts durch die „Tarifeinheit“ oder auch die faktische Aufhebung der Grundrechte von Millionen Migranten und Geflüchteten in den letzten Jahren, z.B. durch das „Asylpaket II“. Auch die ganz materielle Gewalt des existierenden Polizeiapparates ist groß und wurde in den letzten Jahren durch viele Gesetze und Maßnahmen weiter ausgebaut, so dass mittlerweile auf 177 Einwohner ein Polizist kommt. Zudem wurden die antifaschistischen Lehren des Hitler-Faschismus durch den Kamin gejagt: Geheimdienste und Polizeibehörden haben gleich mehrfach gemeinsame Datenbasen und Hauptquartiere geschaffen, wie z.B. das GTAZ und das GTEZ. Und zunehmend erklären dieselben Innenpolitiker, dass dies Maßnahmen sind, die auch dazu dienen, die politische Linke zu bekämpfen. Es ist an der Zeit, dem Rad in die Speichen zu greifen!
UZ: Aber ist es in Zeiten zunehmender „terroristischer Bedrohung“, die die etablierte Politik ausgemacht hat, nicht tatsächlich notwendig, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden anzupassen?
Nils Jansen: Wer beim Wort „Gefährder“ an Terroristen denkt, liegt daneben! Denn festgelegte Kriterien für „Gefährder“ gibt es nicht, das entscheidet zunächst die Polizeibehörde selbst. Betroffen von diesen Eingriffen in Grundrechte ist wirklich jeder: Fußballfans oder Streikführer, Whistleblower oder Demonstranten – treffen kann das neue Gesetz nahezu jede und jeden. Es reicht schon, bestimmte Internetseiten anzuklicken, mit „verdächtigen“ Personen in Kontakt zu stehen oder einfach zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. In Thüringen wurde im Mai der Anmelder eines linken Musikfestivals von der Polizei zum „Gefährder“ erklärt, weil er eine Band auftreten ließ, die dem türkischen Präsidenten Erdogan nicht passt: Grup Yorum.
Um gegen die wachsenden terroristischen Bedrohungen auf dieser Welt effektiv etwas unternehmen zu können, müssen nicht Millionen Menschen überwacht werden. Da wäre natürlich viel effektiver, und ohne jeden Grundrechtseingriff machbar, dass die deutsche Regierung die Rüstungszusammenarbeit mit den Hauptfinanciers des Terrors unterbindet: Saudi-Arabien, Türkei und Qatar, um nur einige zu nennen. Oder dass, wie beim Lafarge-Prozess in Frankreich, die Geldwäsche von Organisationen wie dem IS angegriffen würde. Leider gab es in dieser Hinsicht fast keine Bemühungen, was auch zeigt, dass die Begründung der aktuellen Grundrechtseingriffe nur vorgeschoben sein kann. Der Lafarge-Prozess ist der erste seiner Art. In Wirklichkeit wollen Regierung und Wirtschaft – hier vor allem die größten Konzerne – neue Unterdrückungsmechanismen gegen die eigene Bevölkerung, in stürmischen Zeiten wachsender sozialer Spannungen.
UZ: Nun dürften Ihnen viele Bürgerinnen und Bürger entgegnen, dass wer nichts zu verbergen habe, auch nichts befürchten müsse. Was antworten Sie darauf?
Nils Jansen: Oh, das ist sehr naiv und kurz gedacht. Dieser Gedanke dreht ja den grundlegenden Gedanken der bürgerlich-demokratischen Revolutionen um in: „Tu, was der Obrigkeit genehm ist, dann passiert dir nichts.“ Man möge die Bill of Rigths von 1789 ansehen – dem Staat werden von Beginn des bürgerlichen Rechtsdenkens an Grenzen gesetzt: Der Staat darf nicht durchsuchen, außer, der Staat darf nicht deine Freiheit rauben, außer. Der neue Grundsatz: „Wer nichts zu verbergen hat, …“ ist eine Umkehr dessen. Es ist die Einwilligung in die Aneignung unserer Nachrichten, unserer Bilder, unserer Videos, unserer Privatsphäre, unseres intimen Lebens, unserer gesellschaftspolitischen Beziehungen durch den Staat und besonders durch die Polizei. Ein digitales Ticket zurück ins Mittelalter.
UZ: Zunehmend sollen Personen bei einer „drohenden Gefahr“ auch bis zu vier Wochen in Gewahrsam genommen werden können. Kommt das nicht einer Art Schutzhaft gleich?
Nils Jansen: Ja, Gefährderhaft oder Präventivhaft ist nur ein neuer Name für die alte politische „Schutzhaft“. Ursprünglich von Kaiser Wilhelm gegen die Arbeiterbewegung erlassen, die gegen den ersten Weltkrieg protestierte, richtete sich die Schutzhaft schon von Anfang an gegen Links. Mit der demokratischen Revolution vor 100 Jahren wurde die Schutzhaft dann abgeschafft, aber dann 1933 mit Hitlers Machtantritt wieder eingeführt. Derjenige sei in Schutzhaft zu nehmen, der bei Juden einkaufe und daher seine staatsfeindliche Gesinnung zum Ausdruck bringe, heißt es in damaligen Schutzhaftbefehlen beispielsweise. Nach 1945 gab es dann eine erneute Anwendung nur gegen die Gegner der Remilitarisierung, also vor allem gegen Kommunisten und andere Linke.
UZ: Sie persönlich haben einschlägige Erfahrungen mit Polizei und Justiz bei den Protesten gegen den G20-Gipfel im vergangenen Jahr in Hamburg gemacht. Können Sie diese kurz schildern?
Nils Jansen: Fast der gesamte Jugendvorstand der ver.di-Jugend NRW-Süd, mehrere weitere ver.di-Kollegen und andere Bonner Mitstreiter wurden beim Protest gegen den G20-Gipfel zum Opfer von politischer Verfolgung, von tagelanger Freiheitsberaubung und massiver Aushebelung der demokratischen Grundrechte durch Polizei und Staatsanwaltschaft. Es waren mehr als 30 000 Polizisten in Hamburg, das muss man sich mal vorstellen, eine kleine Armee. Bereits am Freitagmorgen dem 7. Juli griff die Polizei aus dem Nichts unsere Blockade-Demonstration mit Schlagstöcken und Wasserwerfern an. Wir waren nur 200 Personen. Die Menschen flohen in Panik, viele wurden verletzt, zum Teil schwer. Bei der Polizei wurde nach eigenen Angaben niemand verletzt. Den ganzen Gipfel verbrachten wir hinter Gittern und konnten nicht an der Großdemonstration teilnehmen. Hinterher wurden zehn Wohnungen von ver.di-Kollegen durchsucht, allein hier in Bonn und Umgebung, zeitgleich, mit mehr als 100 Beamten. Auffällig sind bei dieser Polizeistaats-Übung Sonderformationen von Polizei und Justiz, wie die Gerichtsstelle „Neuland“, das bayrische „USK“, eine Prügeleinheit oder auch die „Soko Schwarzer Block“, die uns bis heute mit Gerichtsverfahren bedroht, weil wir an einer Demonstration teilgenommen haben. Hier sollen Übungsräume und Präzedenzfälle geschaffen werden für einen Ausbau des Polizeistaats.
UZ: Was löst es vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen bei Ihnen aus, dass potentielle polizeiliche Gewalttäter und Rechtsbrecher künftig noch mehr Möglichkeiten haben sollen, gegen Demonstranten vorzugehen?
Nils Jansen: G20 war für jeden freiheitsliebenden Menschen und für alle Demokraten ein Warnsignal. Viele damals illegale polizeiliche Maßnahmen sollen nun im Nachhinein in Gesetze gegossen werden. Ein Beispiel ist da die faktische Präventivhaft in der Gefangenensammelstelle.
UZ: Gehen Sie davon aus, dass die starken linken Proteste gegen den G20-Gipfel nun missbraucht werden, um in den meisten Bundesländern äußerst repressive Neufassungen der Polizeigesetze zu installieren?
Nils Jansen: Ja, das sieht ganz danach aus. Zum Beispiel beim Vorgehen in einer Straße in Hamburg, aus der sich die Polizei stundenlang zurückgezogen hat, und dann später die Bilder brennender Barrikaden von dort nahm, um nach einer Ausweitung ihrer Befugnisse zu rufen – gemeinsam mit Politikern aus CDU, SPD, FDP, AFD und im Kontext einer offensichtlich gut finanzierten und koordinierten Medienkampagne gegen Links.
Kurz vor dem G20-Gipfel wurde zudem der neue Paragraphen 113, 114 StGB erlassen. Das ist eine Vorschrift, die pünktlich zum Gipfel in Kraft getreten ist und den ›tätlichen Angriff‹ gegen Vollstreckungsbeamte unter eine Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis stellt, bei „kollektivem Vorgehen“ von sechs Monaten. Das ist vor allem ein Angriff auf die Versammlungsfreiheit, mit der in Hamburg wie in einem Feldversuch praktische Erfahrungen gesammelt worden sind. Im Rahmen der Verfolgung von Gipfelgegnern hat die Staatsanwaltschaft ihre Auslegung der Vorschrift offenbart: Schon das gemeinsame Zugehen im Pulk auf Polizeibeamte stelle eine „erhebliche Kraftentfaltung“ dar, die „auf einen unmittelbaren körperlichen Zwang gerichtet“ sei. Einer tatsächlichen Berührung bedürfe es nicht.
UZ: Sie planen für Sonnabend eine Großdemonstration gegen die Novellierung des Polizeigesetzes. Über 200 Organisationen und Persönlichkeiten unterstützen Ihr Ansinnen bereits. Wie ist die Stimmung bezüglich des neuen Gesetzesvorhabens in den Gewerkschaften?
Nils Jansen: Verschiedene ver.di-, IGM- und GEW-Gliederungen und -Fachbereiche in NRW sowie dutzende gewerkschaftlich Aktive sind aktiver Teil des Protestbündnisses und werden auch auf der Bühne am 7. Juli vertreten sein. Der ver.di-Landesvorstand hat sich zudem bei seiner Sitzung Mitte Juni gegen das Gesetz ausgesprochen. Es wäre aber wünschenswert, wenn hier noch mehr getan würde, z. B. um das Problembewusstsein bei den Mitgliedern zu schärfen. Viele wissen noch gar nicht, was ihnen da blüht und wie weit manche Maßnahmen der letzten Jahre bereits reichen.
UZ: Aber könnten die Pläne des Landesinnenministers künftig – zum Beispiel bei Streik- oder Blockadeaktionen – nicht auch für eine Kriminalisierung von Gewerkschaftsprotesten genutzt werden?
Nils Jansen: Genau das ist ein Kern der Gefahr – das Gesetz könnte den Gewerkschaften böse auf die Füße fallen. Gerade in Kombination mit der jüngsten Einschränkung des Streikrechts durch die „Tarifeinheit“, die kleinen Gewerkschaften das Streiken verbietet, ist so eine Entwicklung brandgefährlich. Da ist eine Aktion schnell zum „wilden Streik“ erklärt, und die Polizei kann dann ganz legal gewerkschaftliche Aktivisten wegsperren – ohne Gerichtsbeschluss. Und man kann sich ausmalen, was bei einem Generalstreik wie in Frankreich oder Italien dann alles passieren würde …
UZ: Gehen Sie davon aus, dass sich die Gewerkschaften noch stärker gegen das Gesetz positionieren werden?
Nils Jansen: Auf jeden Fall. Hoffentlich noch bevor die neuen Maßnahmen greifen und die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder durch die Massenüberwachung ihrer Kommunikation weiter voranschreitet. Im Interesse der Mitglieder müssen da auch die Bundesgremien jetzt dringend reagieren – es geht schließlich um neue Polizeigesetze in 15 von 16 Bundesländern!
UZ: In Nordrhein-Westfalen hat die „schwarz-gelbe“ Landesregierung nur kurz nach ihrer Regierungsübernahme die Kennzeichnungspflicht für die Polizei kassiert. Warum halten Sie das für falsch?
Nils Jansen: Ein verschwindend kleiner Teil der Übergriffe von Polizisten werden zur Anzeige gebracht, noch viel weniger führen zu einer Verurteilung. Die Kennzeichnungspflicht war zumindest ein winzig kleiner Schritt in die richtige Richtung, der es Betroffenen zumindest theoretisch möglich gemacht hätte, den verantwortlichen Polizisten überhaupt zu identifizieren. Nun soll sogar dieses kleine Stück Recht gegenüber der Polizei wieder genommen werden, die Polizei wird zum „schwarzen Block“. Anscheinend wünscht man sich im NRW-Innenministerium eine Polizei, die straffrei und anonym agieren kann, damit sie härter gegen ihre Bevölkerung zupackt.
UZ: Zu guter Letzt: Sehen Sie tatsächlich die Chance, dass neue Polizeigesetz noch zu stoppen?
Nils Jansen: Natürlich kann man einzelne Gesetze auch stoppen, das hängt an den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Schon jetzt zeigt der Protest Erfolg: Vor wenigen Wochen musste Innenminister Reul (CDU) zurückrudern und erklärte, dass er die Kritik am Gesetz angeblich „genau prüfen“ werde. Einige Tage später legte dann Koalitionspartner FDP nach, auch sie wolle das Gesetz überarbeiten. Das ist ein wichtiger Erfolg, wir lassen uns von solchen Versprechungen auf – kosmetische? – Verbesserungen aber nicht einschläfern, was wahrscheinlich der Zweck der Übung ist: Wir nutzen die gewonnene Zeit und setzen weiterhin alles darauf, das Gesetze endgültig zu verhindern, wenn es im Herbst erneut in den NRW-Landtag eingebracht wird. Der erste bedeutende Schritt ist die Großdemonstration am 7. Juli in Düsseldorf!