„Es han­delt sich um ein zu­tiefst po­li­ti­sches Po­li­zei­ge­setz…“ UZ-Interview 6.7.

INTERVIEW

NRW will Polizeigesetz verschärfen

Markus Bernhardt im Gespräch mit Nils Jansen, Sprecher der Initiative Grundrechte verteidigen – Ausgabe vom 6. Juli 2018

 

UZ: Die nord­rhein-west­fä­li­sche Lan­des­re­gie­rung aus CDU und FDP will das Po­li­zei­ge­setz no­vel­lie­ren. Was kon­kret haben Sie an den Plä­nen von Lan­des­in­nen­mi­nis­ter Her­bert Reul (CDU) aus­zu­set­zen?

Nils Jan­sen: In NRW soll künf­tig jede Ein­woh­ne­rin und jeder Ein­woh­ner unter dem Vor­wand der Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und der „Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung“ kom­plett durch­leuch­tet, ab­ge­hört und sogar weg­ge­sperrt wer­den kön­nen, zum Teil sogar unter Um­ge­hung von Rich­tern, di­rekt durch die Po­li­zei­be­hör­den. So will es Reuls im Juni zu­rück­ge­zo­ge­ner Ge­set­zes­ent­wurf, und das wird auch im Sep­tem­ber bei der Neu­vor­la­ge Thema sein. Kern des neuen Po­li­zei­ge­set­zes ist die Ein­füh­rung des Rechts­be­grif­fes der „dro­hen­den Ge­fahr“.
Durch die Fi­xie­rung auf die bloße Ver­mu­tung einer Ge­fahr, ohne dass Straf­ta­ten be­gan­gen wür­den, wird die Po­li­zei­tä­tig­keit grund­le­gend ver­än­dert und vor­ver­la­gert in einen Be­reich, in dem keine kon­kre­te Ge­fahr exis­tiert. Ver­bre­chen so weit im Vor­feld zu ver­hin­dern, mag viel­leicht man­chem im ers­ten Mo­ment wün­schens­wert er­schei­nen, er­hebt aber un­ver­däch­ti­ges, grund­recht­lich ge­schütz­tes und auch ge­sell­schaft­lich wün­schens­wer­tes Han­deln in den Be­reich des Ver­däch­ti­gen.
Es han­delt sich um ein zu­tiefst po­li­ti­sches Po­li­zei­ge­setz, das die „Si­cher­heit“ der Re­gie­rung und der herr­schen­den ge­sell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se im Blick hat, nicht aber die Si­cher­heit der Be­völ­ke­rung. Für die Be­völ­ke­rung ist das Ge­setz sogar brand­ge­fähr­lich: Wer in Zei­ten zu­neh­men­der so­zia­ler Kon­flik­te Pro­tes­te or­ga­ni­siert, z.B. gegen eine Werks­schlie­ßung oder gegen Ras­sis­mus und die Ver­herr­li­chung von neo­na­zis­ti­schem Ge­dan­ken­gut, wird in Zu­kunft ganz kon­kret durch Haft be­droht.
Das hat spä­tes­tens die erste An­wen­dung die­ser Re­ge­lung im neuen bay­ri­schen „Po­li­zei­auf­ga­ben­ge­setz“ gegen einen Ju­gend­li­chen am 26. Juni ein­drück­lich ge­zeigt. Der junge An­ti­ras­sist ohne Vor­stra­fen wurde ein­ge­sperrt, weil er an der De­mons­tra­ti­on gegen den Augs­bur­ger AfD-Par­tei­tag teil­neh­men woll­te. Die Po­li­zei sah darin eine dro­hen­de Ge­fahr, was für den Frei­heits­ent­zug aus­reich­te.
Das Ge­setz in NRW äh­nelt dem bay­ri­schen Ge­setz. Es sieht vor, von der Po­li­zei de­fi­nier­te „Ge­fähr­der“ bis zu einen Monat in „Prä­ven­tiv­ge­wahr­sam“ ste­cken zu kön­nen – ohne Ge­richts­ver­fah­ren. Aber die schwe­ren Grund­rechts­ein­grif­fe be­tref­fen bei Wei­tem nicht nur das Ver­samm­lungs­recht. Die neuen Re­ge­lun­gen er­mög­li­chen der Po­li­zei, Men­schen auch ohne kon­kre­ten Ver­dacht an­zu­hal­ten und zu durch­su­chen oder mit Haus­ar­rest und elek­tro­ni­schen Fuß­fes­seln zu be­le­gen – nicht nur ra­ci­al pro­filing ist da pro­gram­miert. Die Po­li­zei soll das Recht er­hal­ten, nach ihrem Be­lie­ben Smart­pho­nes und vor allem Mes­sen­ger wie Whats­App zu ha­cken und mit­zu­le­sen – der völ­li­ge Ver­lust der Pri­vat­sphä­re. Zudem wird auch die Vi­deo­über­wa­chung des öf­fent­li­chen Raums aus­ge­wei­tet – ein hand­fes­ter Alp­traum für un­se­re de­mo­kra­ti­schen Grund­rech­te.

UZ: Sie be­fürch­ten also – auf den Punkt ge­bracht – dass sich die BRD in Rich­tung eines au­to­ri­tä­ren Po­li­zei­staa­tes ent­wi­ckelt?

Nils Jan­sen: Ja, of­fen­sicht­lich. Seit 1945 hat es in Deutsch­land keine Aus­wei­tung po­li­zei­li­cher Be­fug­nis­se in die­ser Grö­ßen­ord­nung ge­ge­ben. Die Ver­schär­fung des Po­li­zei­ge­set­zes ist zudem lei­der nur der Gip­fel einer lan­gen Reihe von Grund­rechts­ein­grif­fen. Viele Ele­men­te eines Po­li­zei­staa­tes sind ja längst da: Sei es die Ein­schrän­kung des Ver­samm­lungs­rechts, der Aus­bau von Face­book/Whats­App-Über­wa­chung durch den Bun­de­stro­ja­ner oder die Ein­schrän­kung des Streik­rechts durch die „Ta­rif­ein­heit“ oder auch die fak­ti­sche Auf­he­bung der Grund­rech­te von Mil­lio­nen Mi­gran­ten und Ge­flüch­te­ten in den letz­ten Jah­ren, z.B. durch das „Asyl­pa­ket II“. Auch die ganz ma­te­ri­el­le Ge­walt des exis­tie­ren­den Po­li­zei­ap­pa­ra­tes ist groß und wurde in den letz­ten Jah­ren durch viele Ge­set­ze und Maß­nah­men wei­ter aus­ge­baut, so dass mitt­ler­wei­le auf 177 Ein­woh­ner ein Po­li­zist kommt. Zudem wur­den die an­ti­fa­schis­ti­schen Leh­ren des Hit­ler-Fa­schis­mus durch den Kamin ge­jagt: Ge­heim­diens­te und Po­li­zei­be­hör­den haben gleich mehr­fach ge­mein­sa­me Da­ten­ba­sen und Haupt­quar­tie­re ge­schaf­fen, wie z.B. das GTAZ und das GTEZ. Und zu­neh­mend er­klä­ren die­sel­ben In­nen­po­li­ti­ker, dass dies Maß­nah­men sind, die auch dazu die­nen, die po­li­ti­sche Linke zu be­kämp­fen. Es ist an der Zeit, dem Rad in die Spei­chen zu grei­fen!

UZ: Aber ist es in Zei­ten zu­neh­men­der „ter­ro­ris­ti­scher Be­dro­hung“, die die eta­blier­te Po­li­tik aus­ge­macht hat, nicht tat­säch­lich not­wen­dig, die Be­fug­nis­se der Si­cher­heits­be­hör­den an­zu­pas­sen?

Nils Jan­sen: Wer beim Wort „Ge­fähr­der“ an Ter­ro­ris­ten denkt, liegt da­ne­ben! Denn fest­ge­leg­te Kri­te­ri­en für „Ge­fähr­der“ gibt es nicht, das ent­schei­det zu­nächst die Po­li­zei­be­hör­de selbst. Be­trof­fen von die­sen Ein­grif­fen in Grund­rech­te ist wirk­lich jeder: Fuß­ball­fans oder Streik­füh­rer, Whist­leb­lo­wer oder De­mons­tran­ten – tref­fen kann das neue Ge­setz na­he­zu jede und jeden. Es reicht schon, be­stimm­te In­ter­net­sei­ten an­zu­kli­cken, mit „ver­däch­ti­gen“ Per­so­nen in Kon­takt zu ste­hen oder ein­fach zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort zu sein. In Thü­rin­gen wurde im Mai der An­mel­der eines lin­ken Mu­sik­fes­ti­vals von der Po­li­zei zum „Ge­fähr­der“ er­klärt, weil er eine Band auf­tre­ten ließ, die dem tür­ki­schen Prä­si­den­ten Er­do­gan nicht passt: Grup Yorum.
Um gegen die wach­sen­den ter­ro­ris­ti­schen Be­dro­hun­gen auf die­ser Welt ef­fek­tiv etwas un­ter­neh­men zu kön­nen, müs­sen nicht Mil­lio­nen Men­schen über­wacht wer­den. Da wäre na­tür­lich viel ef­fek­ti­ver, und ohne jeden Grund­rechts­ein­griff mach­bar, dass die deut­sche Re­gie­rung die Rüs­tungs­zu­sam­men­ar­beit mit den Haupt­fi­nan­ciers des Ter­rors un­ter­bin­det: Sau­di-Ara­bi­en, Tür­kei und Qatar, um nur ei­ni­ge zu nen­nen. Oder dass, wie beim La­far­ge-Pro­zess in Frank­reich, die Geld­wä­sche von Or­ga­ni­sa­tio­nen wie dem IS an­ge­grif­fen würde. Lei­der gab es in die­ser Hin­sicht fast keine Be­mü­hun­gen, was auch zeigt, dass die Be­grün­dung der ak­tu­el­len Grund­rechts­ein­grif­fe nur vor­ge­scho­ben sein kann. Der La­far­ge-Pro­zess ist der erste sei­ner Art. In Wirk­lich­keit wol­len Re­gie­rung und Wirt­schaft – hier vor allem die größ­ten Kon­zer­ne – neue Un­ter­drü­ckungs­me­cha­nis­men gegen die ei­ge­ne Be­völ­ke­rung, in stür­mi­schen Zei­ten wach­sen­der so­zia­ler Span­nun­gen.

UZ: Nun dürf­ten Ihnen viele Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ent­geg­nen, dass wer nichts zu ver­ber­gen habe, auch nichts be­fürch­ten müsse. Was ant­wor­ten Sie dar­auf?

Nils Jan­sen: Oh, das ist sehr naiv und kurz ge­dacht. Die­ser Ge­dan­ke dreht ja den grund­le­gen­den Ge­dan­ken der bür­ger­lich-de­mo­kra­ti­schen Re­vo­lu­tio­nen um in: „Tu, was der Ob­rig­keit ge­nehm ist, dann pas­siert dir nichts.“ Man möge die Bill of Rigths von 1789 an­se­hen – dem Staat wer­den von Be­ginn des bür­ger­li­chen Rechts­den­kens an Gren­zen ge­setzt: Der Staat darf nicht durch­su­chen, außer, der Staat darf nicht deine Frei­heit rau­ben, außer. Der neue Grund­satz: „Wer nichts zu ver­ber­gen hat, …“ ist eine Um­kehr des­sen. Es ist die Ein­wil­li­gung in die An­eig­nung un­se­rer Nach­rich­ten, un­se­rer Bil­der, un­se­rer Vi­de­os, un­se­rer Pri­vat­sphä­re, un­se­res in­ti­men Le­bens, un­se­rer ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Be­zie­hun­gen durch den Staat und be­son­ders durch die Po­li­zei. Ein di­gi­ta­les Ti­cket zu­rück ins Mit­tel­al­ter.

UZ: Zu­neh­mend sol­len Per­so­nen bei einer „dro­hen­den Ge­fahr“ auch bis zu vier Wo­chen in Ge­wahr­sam ge­nom­men wer­den kön­nen. Kommt das nicht einer Art Schutz­haft gleich?

Nils Jan­sen: Ja, Ge­fähr­der­haft oder Prä­ven­tiv­haft ist nur ein neuer Name für die alte po­li­ti­sche „Schutz­haft“. Ur­sprüng­lich von Kai­ser Wil­helm gegen die Ar­bei­ter­be­we­gung er­las­sen, die gegen den ers­ten Welt­krieg pro­tes­tier­te, rich­te­te sich die Schutz­haft schon von An­fang an gegen Links. Mit der de­mo­kra­ti­schen Re­vo­lu­ti­on vor 100 Jah­ren wurde die Schutz­haft dann ab­ge­schafft, aber dann 1933 mit Hit­lers Macht­an­tritt wie­der ein­ge­führt. Der­je­ni­ge sei in Schutz­haft zu neh­men, der bei Juden ein­kau­fe und daher seine staats­feind­li­che Ge­sin­nung zum Aus­druck brin­ge, heißt es in da­ma­li­gen Schutz­haft­be­feh­len bei­spiels­wei­se. Nach 1945 gab es dann eine er­neu­te An­wen­dung nur gegen die Geg­ner der Re­mi­li­ta­ri­sie­rung, also vor allem gegen Kom­mu­nis­ten und an­de­re Linke.

UZ: Sie per­sön­lich haben ein­schlä­gi­ge Er­fah­run­gen mit Po­li­zei und Jus­tiz bei den Pro­tes­ten gegen den G20-Gip­fel im ver­gan­ge­nen Jahr in Ham­burg ge­macht. Kön­nen Sie diese kurz schil­dern?

Nils Jan­sen: Fast der ge­sam­te Ju­gend­vor­stand der ver.​di-Ju­gend NRW-Süd, meh­re­re wei­te­re ver.​di-Kol­le­gen und an­de­re Bon­ner Mit­strei­ter wur­den beim Pro­test gegen den G20-Gip­fel zum Opfer von po­li­ti­scher Ver­fol­gung, von ta­ge­lan­ger Frei­heits­be­rau­bung und mas­si­ver Aus­he­be­lung der de­mo­kra­ti­schen Grund­rech­te durch Po­li­zei und Staats­an­walt­schaft. Es waren mehr als 30 000 Po­li­zis­ten in Ham­burg, das muss man sich mal vor­stel­len, eine klei­ne Armee. Be­reits am Frei­tag­mor­gen dem 7. Juli griff die Po­li­zei aus dem Nichts un­se­re Blo­cka­de-De­mons­tra­ti­on mit Schlag­stö­cken und Was­ser­wer­fern an. Wir waren nur 200 Per­so­nen. Die Men­schen flo­hen in Panik, viele wur­den ver­letzt, zum Teil schwer. Bei der Po­li­zei wurde nach ei­ge­nen An­ga­ben nie­mand ver­letzt. Den gan­zen Gip­fel ver­brach­ten wir hin­ter Git­tern und konn­ten nicht an der Groß­de­mons­tra­ti­on teil­neh­men. Hin­ter­her wur­den zehn Woh­nun­gen von ver.​di-Kol­le­gen durch­sucht, al­lein hier in Bonn und Um­ge­bung, zeit­gleich, mit mehr als 100 Be­am­ten. Auf­fäl­lig sind bei die­ser Po­li­zei­staats-Übung Son­der­for­ma­tio­nen von Po­li­zei und Jus­tiz, wie die Ge­richts­stel­le „Neu­land“, das bay­ri­sche „USK“, eine Prü­ge­l­ein­heit oder auch die „Soko Schwar­zer Block“, die uns bis heute mit Ge­richts­ver­fah­ren be­droht, weil wir an einer De­mons­tra­ti­on teil­ge­nom­men haben. Hier sol­len Übungs­räu­me und Prä­ze­denz­fäl­le ge­schaf­fen wer­den für einen Aus­bau des Po­li­zei­staats.

UZ: Was löst es vor dem Hin­ter­grund Ihrer Er­fah­run­gen bei Ihnen aus, dass po­ten­ti­el­le po­li­zei­li­che Ge­walt­tä­ter und Rechts­bre­cher künf­tig noch mehr Mög­lich­kei­ten haben sol­len, gegen De­mons­tran­ten vor­zu­ge­hen?

Nils Jan­sen: G20 war für jeden frei­heits­lie­ben­den Men­schen und für alle De­mo­kra­ten ein Warn­si­gnal. Viele da­mals il­le­ga­le po­li­zei­li­che Maß­nah­men sol­len nun im Nach­hin­ein in Ge­set­ze ge­gos­sen wer­den. Ein Bei­spiel ist da die fak­ti­sche Prä­ven­tiv­haft in der Ge­fan­ge­nen­sam­mel­stel­le.

UZ: Gehen Sie davon aus, dass die star­ken lin­ken Pro­tes­te gegen den G20-Gip­fel nun miss­braucht wer­den, um in den meis­ten Bun­des­län­dern äu­ßerst re­pres­si­ve Neu­fas­sun­gen der Po­li­zei­ge­set­ze zu in­stal­lie­ren?

Nils Jan­sen: Ja, das sieht ganz da­nach aus. Zum Bei­spiel beim Vor­ge­hen in einer Stra­ße in Ham­burg, aus der sich die Po­li­zei stun­den­lang zu­rück­ge­zo­gen hat, und dann spä­ter die Bil­der bren­nen­der Bar­ri­ka­den von dort nahm, um nach einer Aus­wei­tung ihrer Be­fug­nis­se zu rufen – ge­mein­sam mit Po­li­ti­kern aus CDU, SPD, FDP, AFD und im Kon­text einer of­fen­sicht­lich gut fi­nan­zier­ten und ko­or­di­nier­ten Me­di­en­kam­pa­gne gegen Links.
Kurz vor dem G20-Gip­fel wurde zudem der neue Pa­ra­gra­phen 113, 114 StGB er­las­sen. Das ist eine Vor­schrift, die pünkt­lich zum Gip­fel in Kraft ge­tre­ten ist und den ›tät­li­chen An­griff‹ gegen Voll­stre­ckungs­be­am­te unter eine Min­dest­stra­fe von drei Mo­na­ten Ge­fäng­nis stellt, bei „kol­lek­ti­vem Vor­ge­hen“ von sechs Mo­na­ten. Das ist vor allem ein An­griff auf die Ver­samm­lungs­frei­heit, mit der in Ham­burg wie in einem Feld­ver­such prak­ti­sche Er­fah­run­gen ge­sam­melt wor­den sind. Im Rah­men der Ver­fol­gung von Gip­fel­geg­nern hat die Staats­an­walt­schaft ihre Aus­le­gung der Vor­schrift of­fen­bart: Schon das ge­mein­sa­me Zu­ge­hen im Pulk auf Po­li­zei­be­am­te stel­le eine „er­heb­li­che Kraft­ent­fal­tung“ dar, die „auf einen un­mit­tel­ba­ren kör­per­li­chen Zwang ge­rich­tet“ sei. Einer tat­säch­li­chen Be­rüh­rung be­dür­fe es nicht.

UZ: Sie pla­nen für Sonn­abend eine Groß­de­mons­tra­ti­on gegen die No­vel­lie­rung des Po­li­zei­ge­set­zes. Über 200 Or­ga­ni­sa­tio­nen und Per­sön­lich­kei­ten un­ter­stüt­zen Ihr An­sin­nen be­reits. Wie ist die Stim­mung be­züg­lich des neuen Ge­set­zes­vor­ha­bens in den Ge­werk­schaf­ten?

Nils Jan­sen: Ver­schie­de­ne ver.​di-, IGM- und GEW-Glie­de­run­gen und -Fach­be­rei­che in NRW sowie dut­zen­de ge­werk­schaft­lich Ak­ti­ve sind ak­ti­ver Teil des Pro­test­bünd­nis­ses und wer­den auch auf der Bühne am 7. Juli ver­tre­ten sein. Der ver.​di-Lan­des­vor­stand hat sich zudem bei sei­ner Sit­zung Mitte Juni gegen das Ge­setz aus­ge­spro­chen. Es wäre aber wün­schens­wert, wenn hier noch mehr getan würde, z. B. um das Pro­blem­be­wusst­sein bei den Mit­glie­dern zu schär­fen. Viele wis­sen noch gar nicht, was ihnen da blüht und wie weit man­che Maß­nah­men der letz­ten Jahre be­reits rei­chen.

UZ: Aber könn­ten die Pläne des Lan­des­in­nen­mi­nis­ters künf­tig – zum Bei­spiel bei Streik- oder Blo­cka­de­ak­tio­nen – nicht auch für eine Kri­mi­na­li­sie­rung von Ge­werk­schafts­pro­tes­ten ge­nutzt wer­den?

Nils Jan­sen: Genau das ist ein Kern der Ge­fahr – das Ge­setz könn­te den Ge­werk­schaf­ten böse auf die Füße fal­len. Ge­ra­de in Kom­bi­na­ti­on mit der jüngs­ten Ein­schrän­kung des Streik­rechts durch die „Ta­rif­ein­heit“, die klei­nen Ge­werk­schaf­ten das Strei­ken ver­bie­tet, ist so eine Ent­wick­lung brand­ge­fähr­lich. Da ist eine Ak­ti­on schnell zum „wil­den Streik“ er­klärt, und die Po­li­zei kann dann ganz legal ge­werk­schaft­li­che Ak­ti­vis­ten weg­sper­ren – ohne Ge­richts­be­schluss. Und man kann sich aus­ma­len, was bei einem Ge­ne­ral­streik wie in Frank­reich oder Ita­li­en dann alles pas­sie­ren würde …

UZ: Gehen Sie davon aus, dass sich die Ge­werk­schaf­ten noch stär­ker gegen das Ge­setz po­si­tio­nie­ren wer­den?

Nils Jan­sen: Auf jeden Fall. Hof­fent­lich noch bevor die neuen Maß­nah­men grei­fen und die In­ter­es­sen der Ge­werk­schafts­mit­glie­der durch die Mas­sen­über­wa­chung ihrer Kom­mu­ni­ka­ti­on wei­ter vor­an­schrei­tet. Im In­ter­es­se der Mit­glie­der müs­sen da auch die Bun­des­gre­mi­en jetzt drin­gend re­agie­ren – es geht schließ­lich um neue Po­li­zei­ge­set­ze in 15 von 16 Bun­des­län­dern!

UZ: In Nord­rhein-West­fa­len hat die „schwarz-gel­be“ Lan­des­re­gie­rung nur kurz nach ihrer Re­gie­rungs­über­nah­me die Kenn­zeich­nungs­pflicht für die Po­li­zei kas­siert. Warum hal­ten Sie das für falsch?

Nils Jan­sen: Ein ver­schwin­dend klei­ner Teil der Über­grif­fe von Po­li­zis­ten wer­den zur An­zei­ge ge­bracht, noch viel we­ni­ger füh­ren zu einer Ver­ur­tei­lung. Die Kenn­zeich­nungs­pflicht war zu­min­dest ein win­zig klei­ner Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung, der es Be­trof­fe­nen zu­min­dest theo­re­tisch mög­lich ge­macht hätte, den ver­ant­wort­li­chen Po­li­zis­ten über­haupt zu iden­ti­fi­zie­ren. Nun soll sogar die­ses klei­ne Stück Recht ge­gen­über der Po­li­zei wie­der ge­nom­men wer­den, die Po­li­zei wird zum „schwar­zen Block“. An­schei­nend wünscht man sich im NRW-In­nen­mi­nis­te­ri­um eine Po­li­zei, die straf­frei und an­onym agie­ren kann, damit sie här­ter gegen ihre Be­völ­ke­rung zu­packt.

UZ: Zu guter Letzt: Sehen Sie tat­säch­lich die Chan­ce, dass neue Po­li­zei­ge­setz noch zu stop­pen?

Nils Jan­sen: Na­tür­lich kann man ein­zel­ne Ge­set­ze auch stop­pen, das hängt an den ge­sell­schaft­li­chen Kräf­te­ver­hält­nis­sen. Schon jetzt zeigt der Pro­test Er­folg: Vor we­ni­gen Wo­chen muss­te In­nen­mi­nis­ter Reul (CDU) zu­rück­ru­dern und er­klär­te, dass er die Kri­tik am Ge­setz an­geb­lich „genau prü­fen“ werde. Ei­ni­ge Tage spä­ter legte dann Ko­ali­ti­ons­part­ner FDP nach, auch sie wolle das Ge­setz über­ar­bei­ten. Das ist ein wich­ti­ger Er­folg, wir las­sen uns von sol­chen Ver­spre­chun­gen auf – kos­me­ti­sche? – Ver­bes­se­run­gen aber nicht ein­schlä­fern, was wahr­schein­lich der Zweck der Übung ist: Wir nut­zen die ge­won­ne­ne Zeit und set­zen wei­ter­hin alles dar­auf, das Ge­set­ze end­gül­tig zu ver­hin­dern, wenn es im Herbst er­neut in den NRW-Land­tag ein­ge­bracht wird. Der erste be­deu­ten­de Schritt ist die Groß­de­mons­tra­ti­on am 7. Juli in Düs­sel­dorf!

Schutzhaftbefehl im faschistischen Deutschland

Schutz­haft­be­fehl im fa­schis­ti­schen Deutsch­land

Quelle: https://unsere-zeit.de/de/5027/innenpolitik/8865/NRW-will-Polizeigesetz-verschärfen.htm