Das G20-Urteil aus der Sicht eines Jurastudenten:Fatale Signale
von Sina Aaron Moslehi
Das Studium lehrt vor allem theoretisches Wissen für den Idealfall. Doch auch wenn die Praxis manchmal anders läuft: Das Urteil im ersten sogenannten G20-Prozess wäre als Klausurlösung abgeschmettert worden, meint Sina Aaron Moslehi. „aus: Legal Tribune Online, 23.9.“ weiterlesen
»niedrige Einsatzschwelle« bereits beim »Entstehen« von nichtfriedlichen Veranstaltungen angeordnet. Auch die Abtrennung von ganzen Blöcken, wie sie bei der »Welcome to Hell«-Demonstration versucht wurde, wird in dem Dokument als »Trennung kontrovers ausgerichteter Versammlungsteilnehmer« gefordert.
DOKUMENTE WAREN SONDERAUSSSCHUSS NUR GESCHWÄRZT VORGELEGT WORDEN / EINSATZBEFEHL FORDERTE »TRENNUNG KONTROVERS AUSGERICHTETER« DEMONSTRANTEN
Nachdem die Stadt Hamburg dem Sonderausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft[1] wichtige Dokumente zum G20-Gipfel Anfang Juli nur geschwärzt vorgelegt hatte, wurde am Donnerstag der komplette Rahmenbefehl der Polizei zum Einsatz veröffentlicht. Man habe »alles protokolliert, um parlamentarische Kontrolle zu ermöglichen«, behauptete Einsatzleiter Hartmut Dudde vor dem Sonderausschuss. Doch dann legten die Behörden nur umfangreich geschwärzte Akten vor. Die LINKE-Abgeordnete Christiane Schneider kritisierte dieses Vorgehen am vergangenen Wochenende auf dem Kurznachrichtendienst Twitter noch ironisch als »Festival der Aufklärung«.
Am Donnerstagabend veröffentlichte »Die Welt« dann den kompletten Rahmenbefehl zum G20-Gipfel[2]. Er ist überschrieben mit »Nur für den Dienstgebrauch«. In dem 40-seitigen Dokument werden die Planungen für den Polizeieinsatz rund um das Treffen der Staats-und Regierungschefs der Gruppe der 20 am 7. und 8. Juli in Hamburg detailliert beschrieben.
Bus verwechselt, Jugendliche misshandelt: Polizei verurteilt
Von Jens Meyer-Wellmann
Polizeibeamte bei einer Demonstration gegen die Gefangenensammelstelle in Harburg. Dort wurde die Jugendgruppe der „Falken“ rechtswidrig in Gewahrsam genommen
Verwaltungsgericht wertet Vorgehen gegen Jugendgruppe „Die Falken“ als rechtswidrig. Polizei räumt Fehler ein.
Hamburg. Erstmals hat ein Gericht der Polizei ein unrechtmäßiges Vorgehen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel attestiert. Das Verwaltungsgericht Hamburg bescheinigte zwei Mitgliedern der Jugendgruppe „Die Falken“ aus Nordrhein-Westfalen in einem „Anerkenntnisurteil“, das dem Abendblatt vorliegt, dass ihre Ingewahrsamname am 8. Juli in der Gefangenensammelstelle Harburg „rechtswidrig“ war.
Hintergrund: Die Polizei hatte am frühen Morgen des zweiten Gipfeltages den mit 44 teilweise minderjährigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen besetzten aus Nordrhein-Westfalen kommenden Bus auf der Autobahn abgefangen und zur Gefangenensammelstelle (Gesa) geleitet. Dort wurden nach Berichten der Betroffenen Insassen von Spezialkräften der Polizei „geschlagen und mit ihren Händen auf dem Rücken abgeführt“. Einige der Jugendlichen mussten sich demnach „komplett nackt ausziehen (andere bis auf die Unterwäsche) und wurden dann intensiv abgetastet“.
Bei WC-Gängen mussten die Türen offen bleiben. Den Hinweis, dass Minderjährige im Bus seien und man als Jugendverband auf dem Weg zu einer angemeldeten Demonstration sei, habe die Polizei ignoriert. Auch Telefongespräche, etwa mit einem Anwalt, seien verweigert worden. Insgesamt sei die Gruppe rund viereinhalb Stunden festgehalten worden.
G-20-Protest – Bei den Protesten gegen den G-20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg sind Mitglieder des Jugendvorstands des ver.di-Bezirks NRW-Süd, weitere ver.di-Kolleg/innen und andere Mitstreiter/innen bei einer Demonstration festgenommen worden. Alle nicht minderjährigen Beteiligten wurden anschließend nach eigenen Angaben über 35 Stunden hinweg in der Gefangenensammelstelle festgehalten, auf einen Anwalt oder die Vorführung beim Richter mussten sie lange warten. Zwei von ihnen saßen mehr als 170 Stunden hinter Gittern. „Das war keine Festnahme, sondern ein regelrechter Überfall der Polizei auf unsere Demonstration“, sagt Nils Jansen von der ver.di Jugend. Die ver.di Jugend NRW Süd ruft jetzt zu breiter Solidarität auf und unterstützt den Aufruf „Demonstrationsrecht verteidigen“.
Nach G20 und neuem Widerstands-Paragraf: Linke Gruppen und Politiker rufen »zum Widerstand gegen den Abbau unserer Grundrechte« auf
Polizei beim Hamburger Gipfelsturm
Foto: dpa/Christophe Gateau
Berlin. Linke Gruppen und Politiker rufen »zum Widerstand gegen den Abbauunserer demokratischen Grundrechte« auf. Anlass sind unter anderem die Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit während des G20-Gipfels, Gesetzesverschärfungen und das Vorgehen gegen Journalisten am Rande des Treffens der Regierungsvertreter in Hamburg. »Die uns durch unsere Verfassung gewährten Rechte lassen wir uns nicht nehmen«, heißt es in einem Appell, der unter anderem vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Roten Hilfe, gewerkschaftlichen Gliederungen, der Vereinigung Demokratischer Juristen sowie Landesverbänden der Linkspartei unterstützt wird. Teil der Kampagne ist ein für den 7. Oktober in Düsseldorf angesetzter Kongress unter dem Titel »Demonstrationsrecht verteidigen«.
Aufruf zum Widerstand gegen den Abbau unserer demokratischen Grundrechte
Von den USA bis zur Türkei, von Frankreich bis Ungarn rücken Regierungen nach rechts, heben durch die Verfassung gesicherte demokratische Grundrechte auf, verbieten und unterdrücken Proteste und Streiks und gehen den Weg in einen Polizeistaat. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland liegt in diesem Trend: In den letzten zwei Jahren hat auch sie demokratische Grundrechte von Millionen hier lebenden Migrant*innen massiv beschnitten, insbesondere 2016 im Zuge des „Asylpaket II“; mit verfassungswidrigen Methoden hat sie viele Migrantenorganisationen verfolgt und kriminalisiert, beispielsweise kurdische und türkische Frauen-, Studenten- und Arbeiterorganisationen wie NAV-DEM, ATIK und YXK.
Demonstrationsrecht verteidigen! Aufruf zum Widerstand gegen den Abbau unserer demokratischen Grundrechte
Der Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel (Fraktion DIE LINKE) gehört zu den Erstunterzeichnern des von zahlreichen Organisationen und Einzelpersonen initiierten Aufrufs zum Widerstand gegen den Abbau demokratischer Grundrechte. Nicht zuletzt die von einem rot-grünen Senat in Hamburg politisch zu verantwortenden polizeilichen Maßnahmen anlässlich des G20-Gipfels zeigen, dass es gilt, das „Demonstrationsrecht zu verteidigen„.
KollegInnen aus Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, Anwaltskanzleien und politischen Organisationen treten gemeinsam in Aktion gegen den Abbau demokratischer Grundrechte.
Unter dem Titel „Aufruf zum Widerstand gegen den Abbau unserer demokratischen Grundrechte“ haben sich zahlreiche VertreterInnen von Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, Anwaltskanzleien und politischen Organisationen an die Öffentlichkeit gewendet.
In der Erklärung der Initiative werden insbesondere die jüngsten Gesetzesverschärfungen, wie die Einführung der neuen Paragraphen 113, 114 StGB, die Massen-Überwachung von WhatsApp, Facebook und anderer Kommunikationsmittel und im öffentlichen Raum, sowie die Einschränkung des Streikrechts durch das sogenannte „Tarifeinheitsgesetz“ angeprangert. Im Mittelpunkt der Erklärung stehen zudem die massiven Grundrechtsverletzungen an DemonstrantInnen, SanitäterInnen und AnwältInnen während dem G20-Gipfel im Juli diesen Jahres in Hamburg.